Produktivkraft, kapitalistische Krise und gesellschaftliche Emanzipation

Norbert TrenkleMail link

Der Geschichtsoptimismus des Aufklärungsdenkens und insbesondere des traditionellen Marxismus basierte wesentlich auf einer Verherrlichung des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts. Zusammen mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte sollte nicht nur das materielle Elend sondern letztlich auch die Herrschaft des Menschen über den Menschen aus der Welt verschwinden. Der "historische Materialismus" konstruierte gar einen evolutionären Zusammenhang, wonach jedem bestimmten Niveau der Produktivkraftentwicklung eine bestimmte Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung entsprechen sollte. Sozialismus und Kommunismus wurden als die zwangsläufigen Resultate und die Höhepunkte dieses "objektiven historischen Prozesses" betrachtet.

Diese Sicht auf die Geschichte als vorherbestimmtem Prozeß ist scharf zu kritisieren, denn sie reproduziert im Denken unreflektiert die blinde, objektivierte Selbstbewegung der modernen Warengesellschaft. Zwar hat der Kapitalismus sicherlich produktive Potenzen geschaffen, die allen Menschen ein gutes Leben ermöglichen könnten, doch drängt er aus seiner inneren Zwangsdynamik heraus keineswegs dazu, diese auch zu realisieren. Im Gegenteil. Erstens schließt er die überwiegende Mehrzahl der Menschen von den Quellen möglichen Reichtums aus und stürzt sie in ungeheures Elend. Zweitens nimmt die von der Verwertungslogik vorangepeitschte Produktivkraft eine geradezu gemeingefährliche und destruktive Gestalt an, die sogar die menschlichen Lebensgrundlagen als solche bedroht. Diese beiden Tendenzen verschärfen sich noch in dem Maße in dem der Kapitalismus in einen fundamentalen, finalen Krisenprozeß gerät, der seinerseits ein Ergebnis der gewaltigen Produktivkraftsteigerung ist. Indem diese nämlich immer mehr Arbeit überflüssig macht, untergräbt sie die Grundlage und Funktionsbasis der Verwertung: die Vernutzung lebendiger Arbeitskraft in der Warenproduktion. Diese Entwicklung führt aber von sich aus keinesfalls zu einer emanzipatorischen Aufhebung des Kapitalismus, sondern nur in eine Abwärtsspirale globaler Destruktion und gewaltsamen gesellschaftlichen Zerfalls.

Aus emanzipatorischer Perspektive kann das Verhältnis zur kapitalistischen Produktivkraft daher nur ein negatorisches sein. Negatorisch meint hier nicht, die technisch-wissenschaftliche Entwicklung pauschal abzulehnen, sondern ihr gegenüber einen Standpunkt radikaler Kritik einzunehmen. Nur durch eine solche Kritik können die positiven Potenzen der Produktivkraft sichtbar gemacht und nur gegen die Schwerkraft der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Krise können sie praktisch entwickelt werden. Ein unmittelbar positives Anknüpfen am Gegebenen kann es nicht geben auch wenn nicht alles Gegebene einfach zu verwerfen ist.


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