Veränderung ohne Bewegung?

Brigitte StreicherMail link, Projekt MEK-Software

Thesen zum Workshop

Viele, die in privatwirtschaftlich organisierten Betrieben der IT-Branche ihr Geld verdienen, machen - wie übrigens Millionen von Beschäftigten in anderen Industriebranchen auch - die Erfahrung, daß sie weder die Arbeitsbedingungen diktieren noch die Art und den Einsatz ihrer Arbeitsprodukte festlegen können. die Vielzahl von Konflikten und Widersprüchen, die daraus für jeden einzelnen entstehen, waren und sind der Ausgangspunkt für das Projekt MEK-Software, einem Zusammenschluß von Menschen, die hier in Dortmund in verschiedenen Bereichen der IT-Branche arbeiten und z.T. gewerkschaftlich organisiert sind. Im folgenden werden wir kurz einige unserer Überlegungen, die zur Entstehung dieses Projektes geführt haben dar- und zur Diskussion stellen mit der Absicht, Anstöße für die Entstehung ähnlicher Projekte wie dem unseren zu geben.

New, but old economy

Konstituierende Elemente für die Entwicklung der freien Software entspringen nicht dem Umstand, daß diese frei ist, sondern entspringen dem Entwicklungsprozeß selbst: die Entwicklung und Pflege komplexer IT-Systeme kann nicht bürokratisch organisiert werden, die besten Ideen kommen nicht immer (in der Regel selten) zu festgelegten Arbeitszeiten und der Austausch mit anderen Entwicklern ist zwingend notwendig. Diese Rahmenbedingungen werden zuallererst in den Betrieben der 'new economy' realisiert - flache Hierarchien, i.d.r. totale Gleitzeit und Teamarbeit. Diese Rahmenbedingungen werden nicht aus Rücksicht auf die Bedürfnisse der dort beschäftigten geboten, sondern weil sie die optimale Nutzung der Ressource 'human capital' gewährleisten. in 'guten Zeiten', d.h. in den Boom-Phasen der IT-Branche, können diese Bedingungen weitgehend von den Beschäftigten selbstständig genutzt werden. Stehen Krisen in's Haus, stehen in den flachen Hierarchien jeder/jede direkt im Sperrfeuer, wird die entgrenzte Arbeitszeit zum open end und im Team jeder Krankheits- oder Urlaubstag oder aber jeder Fehler eines/einer einzelnen als Verrat gewertet. die vermeintliche Selbstorganisierung in den flachen Hierarchien wird schnell zum Bumerang: Verwischung der Grenzen zwischen Fremd- und Selbstausbeutung und Intensivierung der Eigenkontrolle. Im Endeffekt bleiben Einzelkämpfer, die in ökonomischen Auseinandersetzungen keine Chance haben.

Soziale Ausdifferenzierung

Die Entwicklung der IT-Branche hat neue soziale Spaltungen in der Arbeitswelt - analog zu denen in den traditionellen industriellen Sektoren - hervorgebracht: standardisierte Routinetätigkeiten, wie manuelle Datenerfassung, Call-Center-Dienste, Routineprogrammierung auf der einen und qualifizierte Entwicklungs- und Leitungstätigkeiten, wie Soft-, Hardware-Design und Projektleitung auf der anderen Seite. Die positiven Erfahrungen mit den neuen Technologien, wie Selbstorganisierung der Arbeitsabläufe und der Arbeitszeiten, Kreativität sowie die Chancen einer universalen Information und Kommunikation werden von dieser qualifiziert arbeitenden, jedoch im Vergleich zur Gesamtzahl der Arbeitenden, minoritären Schicht gemacht. Visionen einer gebrauchswertorientierten Soft- + Hardware-Produktion auf der Basis selbstorganisierter Produzenten werden erstmal von dieser Minorität entwickelt, weil als Chancen in ihrem Arbeitsleben erfahren. Eine Akzeptanz dieser Vision von der Mehrheit der Arbeitenden ist erst über viele politische Vermittlungsschritte in betrieblichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen herzustellen.

Wer steuert die Nachfrage?

Die Nachfrage nach transparenter und eigenständig weiterentwickelbarer Software findet ihre Begrenzung durch einen Markt, der mit riesigen finanziellen Mitteln für den Konsum ihres Gegenteils zugerichtet wurde und wird: instabile Blackbox-Pakete, die den Usern per Mouse-Click den verständigen Gebrauch abgewöhnen und deren Updates zugleich den Konsum neuer Hardware-Komponenten erfordern. Dies gilt sowohl für private als auch für betriebliche Anwendungen. die EDV-Arbeitsplätze in den Büros werden zudem nicht mit den dort Arbeitenden abgesprochen; ihnen wird Microsoft ohne Ende vorgesetzt, bei Problemen der mitgekaufte Support angefordert. Derart konditioniert, ist viel Zeit und Vorkenntnis notwendig, um sich die Vorteile der freien Programme, z.B. Linux, zu erarbeiten. Die zur Zeit einzig gesellschaftlich relevante Gruppe, die die Vorteile der freien Software als stabiles und individuell anpaßbares System nutzt, sind einige Betriebe. Überdies versuchen Sun und Netscape mit der Veröffentlichung von Teilen ihrer Quellcodes die User zu animieren, am Entwicklungsprozeß teilzunehmen und so eigene Entwicklungskosten zu sparen. Damit hat die freie-Software-Assoziation das Problem, daß sie Grundlagen zur Stärkung einer privat organisierten Wirtschaft schafft, die der Idee der freien Assoziation der Produzenten und der freien Distribution ihrer Produkte diametral entgegen arbeitet. Auch hier gilt: ohne politische Zusammenschlüsse, die Stellung beziehen zum betrieblichen einsatz der IT-Produkte droht die freie-Software-Assoziation zur kostenlosen Human Ressource zu verkommen, die für die Optimierung kapitalistisch organisierter Produktions- und Distributionsabläufe arbeitet.

Kontrolle, Überwachung, Repression

Die IT-Produkte unserer Arbeit kommen kommerziell zum großen Teil im tertiären Sektor zum Einsatz, und zwar zu einem unguten: Kontrolle in den Betrieben, Datenerfassung seitens des Staatsschutzes, Effektivierung militärischer Zerstörungspotentiale und Wirtschaftsabläufe. Die Forderung nach individueller Verweigerung der Mitentwicklung der dafür benötigten Systeme unterstellt der IT und nicht den bestehenden Besitz- + Machtverhältnissen die Verantwortung. Abseits kleinbürgerlicher Maschinenstürmerei bleibt nur die Einmischung in gesellschaftliche Auseinandersetzungen um konkrete Belange, wie Volkszählungen, Videoüberwachung, Datenschutz, Antikriegs-Kampagnen, Kampagnen gegen neokoloniale Wirtschaftspläne. In derartigen Auseinandersetzungen verfügt die freie-Software-Assoziation über Möglichkeiten, den positiven Nutzen der IT - wenn erst einmal selbstverwaltet - den Menschen vor Augen zu führen: Aufbau eigener Kommunikationsstrukturen, deren Kosten weit unter dem Microsoft-Niveau liegen und die eine Verständigung jenseits staatlicher und ökonomischer Reglementierungen gewährleisten.

Fazit

Die materielle Basis der freien-Software-Assoziation ist dünn, ihre ideellen Grundlagen werden von einer minoritären Schicht in den Metropolen dieser Welt geschaffen und erfahren. Deshalb wird sie ohne eine politische, zumindest trade-unionistische Organisierung ihrer Interessen und Ziele ein zahnloser Tiger bleiben, der an keiner Front in der Lage ist, den ökonomischen und politischen Gewalten die Zähne zu zeigen.


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