Zur Politischen Ökonomie des Informationskapitalismus

Ralf KrämerMail link

1. Ausgangspunkte

Es geht mir im Folgenden um begriffliche Grundlagen und besondere Aspekte der Analyse

Hintergrund dessen ist eine Auseinandersetzung mit verschiedenen anderen Positionen:

2. Dienstleistungen und nichtmaterielle Produktion im Kapitalismus

Die Ökonomie der Informationsprodukte kann zunächst als besonderer und besonders interessanter Fall der Ökonomie der Dienstleistungen und nichtmaterieller Produktion allgemein aufgefasst werden. Darum zur Einordnung und Grundlegung zunächst einige grundsätzliche Ausführungen zur Politischen Ökonomie kapitalistischer Waren- und Dienstleistungsproduktion:

Waren und Dienstleistungen - Begriffsbestimmungen

Waren sind mit menschlicher Arbeit produzierte nützliche Dinge (sie haben Gebrauchswert), die ausgetauscht bzw. zum Austausch/Verkauf angeboten werden. Der Wert der Waren, der ihrem Preis zugrunde liegt, ist grundlegend durch die zu ihrer Produktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt. Der Austausch der Waren im Verhältnis ihrer (kapitalistisch modifizierten) Werte ist das grundlegende regulative Prinzip für die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit auf die verschiedenen Produktionen und für die Verteilung der Produkte in der Waren produzierenden Gesellschaft, also im Kapitalismus.

Gewerbliche, marktvermittelte Dienstleistungen sind analog wie Waren zu betrachten. Dienstleistungen sind zunächst negativ bestimmt, nämlich dergestalt, daß es sich nicht um materielle Produktion handelt, das Produkt der Tätigkeit kein eigenständiges materielles Ding ist, das als solches in den ökonomischen Austausch eingehen könnte. Dabei kommt es nicht auf die Warenförmigkeit an, auch Produktion materieller Güter für den Eigenbedarf etwa von Unternehmen oder des Staates wird nicht als Dienstleistung, sondern als materielle Produktion betrachtet.

Es gibt nun verschiedene Bedingungen, unter denen Arbeit und ihre Produkte als Dienstleistungen betrachtet werden:

  1. wenn die Arbeitsgegenstände Menschen oder die Gesellschaft sind, also bei personenbezogenen und bei sozialen Diensten, z.B. Pflege, medizinischen Leistungen, Erziehung, Unterricht, Kosmetik, Sport, Kultur, Unterhaltung, Beherbergung, Gaststätten, Wachdienste, Sozialarbeit, Politik; auch Handel (soweit es da wesentlich um Kommunikation geht, um KäuferInnen für die Waren zu finden)
  2. wenn die Arbeitsgegenstände sich nicht (als Produktionsmittel) im Besitz des Produzenten, sondern der Käuferin oder des Konsumenten der Dienstleistung befinden, also bei haushaltsbezogenen Dienstleistungen, einem Teil der unternehmensbezogenen Dienstleistungen, Transportdienstleistungen und bei Reparaturdienstleistungen aller Art;
  3. wenn die wesentlichen Objekte oder Produkte der Arbeit Informationen oder ideelle Objekte oder Eigentums- oder Nutzungsrechte oder ihre Kommunikation oder Verteilung oder die Regulierung von Prozessen sind, also etwa bei Verwaltungs- und Organisationsdienstleistungen, Text- oder Software- oder Musik- oder (künstlerische) Bild- oder Filmproduktion, Wissenschaft, Forschung und Entwicklung, Finanzdienstleistungen, Vermietung, Beratung, Werbung.

Diese Bedingungen überschneiden sich bzw. treten oft kombiniert auf, insb. 1. und 3. bei allen primär kommunikativen Tätigkeiten, deren Gegenstand letztlich Menschen sind, deren psychische Befindlichkeit oder Fähigkeiten auf diese Weise verändert werden sollen. 1. ist eigentlich in 2. enthalten, weil Menschen oder Gesellschaft jedenfalls unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen nicht in fremdem Besitz sein können.

Wertschöpfung und die Produktivität der Arbeit außerhalb der unmittelbar materiellen Produktion

Vielfach werden Dienstleistungen mehr oder weniger pauschal als "unproduktiv" gegenüber den "produktiven" Tätigkeiten in der materiellen Produktion betrachtet und daraus dann etwa die Konsequenz abgeleitet, durch die Abnahme der Arbeit in der materiellen Produktion gehe dem Kapitalismus zunehmend seine wert- und mehrwertschaffende Basis verloren, was nicht mehr lange gut gehen könne. Es werden verschiedene Fassungen und Begründungszusammenhänge dieser Bestimmung angeführt, die m.E. sämtlich nicht stichhaltig sind. Das ist selbstverständlich eine Frage des jeweiligen Begriffs bzw. der Theorie von Wert und Wertschöpfung, die dem zugrunde liegt.

Von der Produktion her gesehen ist m.E. Wert zu begreifen als eine bestimmte soziale Gegenstandsbedeutung von Waren oder Dienstleistungen, dass sie ihren ProduzentInnen bzw. EigentümerInnen im gesellschaftlichen Austausch einen Anspruch auf äquivalente Gegenleistungen, einen gleichwertigen Anteil der gesellschaftlichen Produktion, vermitteln. Es geht also beim Wert um die marktvermittelte Verteilung von Ansprüchen auf Produkte und Leistungen gesellschaftlicher Arbeit unter der Prämisse, dass prinzipiell die "Gleichheit und gleiche Gültigkeit aller Arbeiten" (MEW 23, 74) unabhängig von der Person der Arbeitenden anerkannt wird, was bürgerliche Verhältnisse von auf persönlicher Abhängigkeit beruhenden vorbürgerlichen Klassenformationen unterscheidet. Die Quantität des Werts ist dabei grundlegend durch den jeweils aktuell im gesellschaftlichen Durchschnitt (also nicht den individuell) notwendigen Arbeitsaufwand bestimmt. (Die kapitalistischen Modifikationen der Verteilung des gesellschaftlichen Wertprodukts auf die einzelnen Waren, v.a. die Produktionspreisbildung, tun hier nichts zur Sache.) Wertschöpfung ist letztlich nichts anderes als die Erarbeitung von Einkommen als Ansprüche auf quantitativ bestimmte Anteile am gesellschaftlich in Form von Waren (oder Dienstleistungen) produzierten Reichtum, im Unterschied zur Aneignung anderweitig erarbeiteter Werte durch Ausbeutung, also Aneignung fremder Mehrarbeit, oder durch Übertragung oder Umverteilung bereits produzierter Werte bzw. Einkommen (in privatem Rahmen oder durch den Staat).

In der einfachsten, von den konkreten Produkten und Tätigkeiten ausgehenden, Fassung werden Dienstleistungen deswegen als nicht wertschöpfend angesehen, weil Wert nur materiellen Dingen zugemessen wird, oft verbunden mit der Begründung, dass Dienstleistungen immer eine entsprechende materielle Produktion als ihre Basis voraussetzen, keine Gesellschaft nur von Dienstleistungen leben kann. Letzteres ist prinzipiell richtig, allerdings kann ebenso keine Gesellschaft nur aufgrund der Produktion im sekundären Sektor leben, sondern diese setzt entsprechende Primärproduktion (Agrarproduktion und Fischerei, je nach Definition werden auch Bergbau und Energieerzeugung zum primären Sektor gezählt) voraus. Und ebenso wie die Entwicklung der industriellen Produktion die Grundlage für gewaltige Steigerungen der Produktivität der Primärproduktion war, so ist die Entwicklung qualifizierter Dienstleistungen und insb. Informationsverarbeitung und Kommunikation eine Grundlage für Produktivitätssteigerungen in der materiellen Produktion. So wie Marx (und andere) die mit der industriellen Revolution überholte bornierte physiokratische Sicht, dass nur Agrarproduktion produktiv sei, überwanden, ist heutzutage die Sicht, dass nur materielle Produktion produktiv sei, als borniert und überholt zu betrachten, als Ausdruck spezifischer Ideologie der in der materiellen Produktion tätigen. Die Produktion von Dienstleistungen ist vielmehr unter den gleichen Kriterien als produktiv oder unproduktiv zu betrachten wie die von materiellen Waren.

Ganz allgemein bezeichnet `produktiv' die Fähigkeit der Arbeit, nützliche Produkte, also Gebrauchswerte, zu erzeugen. Als unproduktiv gilt dann Arbeit, bei der nichts Brauchbares (was allerdings immer eine Frage der Perspektive ist) herauskommt. Ökonomisch oder wertproduktiv ist eine Arbeit, deren Produkt gegen andere austauschbar bzw. verkäuflich ist, unproduktiv wäre dann z.B. wissenschaftliche Arbeit, die sich nicht unmittelbar in verkäuflichen Produkten niederschlägt. In der Marx'schen Werttheorie wird die Problematik unter dem Gesichtspunkt ihrer spezifisch kapitalistischen Charakteristik betrachtet. Marx kommt es ausschließlich auf die gesellschaftliche Form und nicht auf den stofflichen Inhalt der Arbeit an oder darauf, ob die Arbeit zur Produktion von Gütern oder von Diensten verausgabt wird. Zunächst erweitert er deshalb den Begriff der produktiven Arbeit für einen auf Kooperation beruhenden Arbeitsprozess auf alle Tätigkeiten, die notwendige Bestandteile der Gesamtarbeit sind (vgl. MEW 23, 531), betrachtet sogar Leitungstätigkeit als "produktive Arbeit, die verrichtet werden muss in jeder kombinierten Produktionsweise" (MEW 25, 397). Andererseits verengt er den Begriff der produktiven Arbeit, indem er ihn für die kapitalistische Produktion spezifiziert. Produktiv ist Arbeit hier nur dann, wenn sie nicht nur Warenwert erzeugt, sondern wenn sie Mehrwert für das Kapital produziert. Wenn dies gegeben ist, gelten auch Dienstleistungen als produktiv (vgl. MEW 23, 532; als Beispiel nimmt Marx hier einen angestellten Lehrer an einer kommerziell betriebenen Privatschule, aber das gleiche gilt auch z.B. für Lohnarbeitende in der Gastronomie oder anderen Dienstleistungsbereichen). Diese werden aber nicht weiter behandelt, weil sie damals im Verhältnis zur gesamten kapitalistischen Produktion nur einen marginalen Umfang hatten.

Nicht produktiv sind in dieser Perspektive - nämlich der des Kapitals als der beherrschenden ökonomischen Macht der bürgerlichen Gesellschaft - solche Arbeiten, die nicht als Lohnarbeit zwecks Kapitalverwertung verrichtet werden, sondern im Rahmen des privaten Haushalts oder nichtkapitalistischer Produktion, also auch Dienstleistungen, die aus Haushaltseinkommen (Revenue) gekauft werden und der unproduktiven Konsumtion dienen (auch wenn es Kapitalistenhaushalte sind), etwa die Arbeit von HaushälterIn, FriseurIn oder privater NachhilfelehrerIn. Wenn diese aber LohnarbeiterInnen bei kapitalistischen Unternehmen (z.B. Friseurbetrieb oder Privatschule) sind, gälte ihre Arbeit wieder als produktiv (nämlich aus der Perspektive ihrer kapitalistischen Arbeitgeber), denn es wäre nicht unmittelbar das Haushaltseinkommen der Kunden, aus dem sie bezahlt werden, sondern sie erhalten Lohn. Alle öffentlichen Dienste gelten aber als unproduktiv, weil die dort beschäftigten LohnarbeiterInnen keinen Mehrwert produzieren.

Auf das besondere Thema der Zirkulationsdienstleistungen, Handel, Vermietung und Finanzdienstleistungen, brauchen wir hier nicht einzugehen. Wohl aber sind jetzt die sog. Informationsprodukte und ihre Besonderheiten genauer zu betrachten.

3. Politische Ökonomie der Informationsprodukte im Kapitalismus

Informationsprodukte - begriffliche Klärungen

Als Informationsprodukte betrachte ich hier Produkte, die 1. wesentlich Resultate oder Vergegenständlichungen geistiger Arbeit sind und die 2. wesentlich dazu dienen, dass die NutzerInnen dieser Produkte sich diese Resultate geistiger Arbeit aneignen können. Es handelt sich also z.B. um Software, Texte, Musik, (auf menschlicher Kreativität beruhende) Fotos und Filme, Kunst, Bau- und Produktionspläne, Designerprodukte usw. (Die Diskussion darüber, wie der Begriff der `Information' zu bestimmen wäre, ist hier nicht zu führen.) Bei Informationsprodukten ist wichtig, dreierlei zu unterscheiden:

  1. das ideelle Produkt selbst (häufig in eins gesetzt mit dem Original, also dem ursprünglichen materiellen Träger der entsprechenden Information, aber dennoch nicht damit zu verwechseln),
  2. die einzelne Kopie bzw. das einzelne materielle Exemplar eines Informationsprodukts, z.B. einzelne Schallplatte, Fotoabzug, CD-ROM, Buch, Designermöbelstück usw.
  3. das Nutzungsrecht an dem ideellen Produkt, das nicht identisch und nicht zu verwechseln ist mit dem Nutzungsrecht an dem materiellen Einzelexemplar.

Bei normalen Waren oder Dienstleistungen liegen die auch ihnen immer zugrundeliegenden Informationen über ihre Gestaltung und Produktionsmethoden häufig gar nicht als ideelle Produkte vor oder nur im Kopf der ProduzentInnen oder als gesellschaftlich frei verfügbares Wissen. Liegen sie bereits als Privateigentum vor, geschieht dessen Verwertung im Rahmen des Verkaufs der mit dessen Hilfe produzierten Waren oder Dienstleistungen und wird normalerweise nicht gesondert behandelt, weil der Wert des Endprodukts überwiegend vom materiellen Produktionsprozess bestimmt wird oder weil die Produkte nicht einfach kopierbar sind. Da die Nutzung dieser Produkte sich dann auf das einzelne Exemplar bezieht und eine darüber hinaus gehende Nutzung der zugrundeliegenden ideellen Produkte nicht möglich ist, sind besondere Einschränkung der Nutzungsrechte überflüssig. Verboten ist aber auch dann schon die gewerbliche Kopie solcher Produkte, soweit die zugrundeliegenden Informationsprodukte entsprechend geschützt sind durch Patente, Warenzeichen usw.

Anders ist das bei Informationsprodukten. Die Vervielfältigung und Verbreitung dieser Produkte verursacht heutzutage normalerweise nur relativ geringe bis nahezu gar keine Kosten, jedenfalls wenn sie auf elektronischem Wege erfolgt und nur die beim Kopierenden jeweils anfallenden Grenzkosten betrachtet werden. Aber auch traditionell, also als die Vervielfältigungskosten noch eine größere Rolle spielten, war hier schon das geistige Eigentum oder Urheberrecht zu unterscheiden von dem Nutzungsrecht und dem Eigentum an einem Einzelexemplar und dieses war bzgl. der Vervielfältigung jedenfalls zu gewerblichen Zwecken eingeschränkt. Das Problem ist also nicht grundsätzlich neu durch die elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien entstanden, hat aber durch sie eine ganz neue Dimension und Bedeutung erhalten.

Durch die qualitativ höhere Bedeutung von Informationsprodukten entsteht aber keine ganz andere, etwa nicht mehr kapitalistische, Ökonomie, und die Kategorien der (marxistischen) Kritik der Politische Ökonomie sind auch für die Analyse dieser Prozesse geeignet, aber auch weiter zu entwickeln. Zunächst ist wichtig, die Unterscheidung zwischen Gebrauchswert und (ökonomischem) Wert auch hier nie aus den Augen zu verlieren (wie es etwa Klotz in seinen Beiträgen tut). Der Gebrauchswert von Produkten ist grundsätzliche Bedingung für deren Wert, aber bestimmt ihn nicht quantitativ. Dass der Gebrauchswert bestimmter Informationsprodukte oder von informationstechnischen Infrastrukturen etwa durch das Ausmaß ihrer Verbreitung wesentlich bestimmt und gesteigert wird, verändert nicht ihren Wert, der durch den zu ihrer Produktion gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand bestimmt ist.

Zweitens ist wichtig, zu klären und jeweils gesondert zu behandeln, was eigentlich der ökonomische Gegenstand ist, um den es geht, und konkret, dessen Eigentum beim Kauf erworben wird: das - möglicherweise in verschiedener Hinsicht beschränkte - Nutzungsrecht (wie beim Softwarekauf die Regel), das bestimmte Einzelexemplar (mit dem weitgehend unbeschränkten Recht, es zu nutzen und andere davon - aber nur von diesem Einzelexemplar! - auszuschließen) oder das ideelle Produkt bzw. das `Intellektuelle Eigentumsrecht' (etwa das Copyright, ein Patent oder einen Quellcode). Als Käufer für Letzteres treten i.d.R. nur Unternehmen auf.

Drittens sollte man sich nicht durch die einseitige Konzentration auf bestimmte Erscheinungen oder Besonderheiten der Ökonomie der Informationsprodukte oder des Internets verwirren lassen und den kapitalistischen Gesamtzusammenhang nicht aus den Augen verlieren. Das gilt z.B. für das Gerede von der `Aufmerksamkeitsökonomie', das nicht davon ablenken sollte, dass es auch bei den ökonomischen (also nicht den zur Selbstverwirklichung, aus altruistischen oder politischen oder sonstigen Motiven betriebenen oder öffentlich finanzierten) Aktivitäten im Internet letztlich nicht um Aufmerksamkeit oder Reputation geht, sondern um Geld, das unmittelbar (etwa über Werbeeinnahmen) oder mittelbar (über die Rückwirkung der Internetpräsentation auf das sonstige Geschäft des Unternehmens) damit verdient werden soll.

Wertschöpfung und Mehrwertaneignung bei Informationsprodukten, Informationsrenten

Inwieweit findet nun bei Informationsprodukten Wertschöpfung statt? Dazu gab es im November/Dezember 2000 in der Oekonux-Liste eine kontroverse Debatte, an der ich beteiligt war. Grundsätzlich vertrete ich die Auffassung, dass wie in anderen Bereichen auch die für die kapitalistische Produktion dieser Produkte gesellschaftlich notwendige Arbeit als produktiv zu betrachten ist. Insbesondere betrachte ich auch die im eigentlichen Sinne geistige und kreative Arbeit etwa in der Entwicklung neuer Softwarecodes, Texte, Produktdesigns und Produktionsmethoden als produktiv. Für das Kapital bedeuten die hier beschäftigten Arbeitskräften jedenfalls einerseits Kosten, andererseits können ihre Produkte entweder unmittelbar (also das ideelle Produkt, indem z.B. neu entwickelte Software oder Patente an andere Unternehmen verkauft werden) oder dadurch verwertet werden, das sie für die Herstellung von Informationsprodukten im engeren Sinne materieller Trägerobjekte verwendet oder indem Nutzungslizenzen daran verkauft werden.

Aber es treten Besonderheiten gegenüber normalen Waren oder Dienstleistungen: Wie schlägt sich die verschiedene aufgewendete Arbeit im Wert und im Preis der letztlich verkauften Informationsprodukte nieder?

  1. In Bezug auf die Arbeit bei der Vervielfältigung, Distribution etc. ist die Situation so wie bei anderen Produkten auch. Die kreative und Entwicklungsarbeit wäre m.E. ähnlich zu behandeln wie die für die Produktion selbst erstellten fixen Kapitals, d.h. der durch sie produzierte Wert würde anteilig auf die auf dieser Basis dann produzierten und verkauften Endprodukte verteilt. Allerdings ist die Zahl dieser Endprodukte nicht im Voraus zu fixieren, sondern nur grob aufgrund von Erfahrungen mit ähnlichen Produkten oder aufgrund Marktanalysen abzuschätzen und darauf baut dann die Kalkulation auf. Diese wird in vielen Fällen etwa aufgehen, in anderen übertroffen und in wieder anderen nicht realisiert werden können. Bei `normalen' Informationsprodukten, die prinzipiell gegen andere ähnliche austauschbar sind und mit ihnen im Wettbewerb stehen, wird sich so im Durchschnitt der meisten Unternehmen und der Gesellschaft insgesamt in etwa eine Realisierung des durch die Entwicklungsarbeit geschaffenen Werts ergeben. Dies ist ein altbekanntes Phänomen etwa im Verlagsgeschäft für nichtdigitalisierte Informationsprodukte wie Bücher oder auch in Bezug auf normale Produkte wie z.B. neue Fahrzeugmodelle oder Chemikalien, in denen hoher Entwicklungsaufwand steckt. Wenn es sich um elektronisch kopierbare Informationsprodukte handelt, ändert sich daran nichts Prinzipielles, es ist nur schwieriger für die Unternehmen, die unbezahlte Nutzung ihrer Produkte zu verhindern, also ihr `Intellektuelles Eigentumsrecht' durchzusetzen. Auf der anderen Seite sparen sie aber auch einen Großteil der früher nötigen Aufwendungen für die Produktion und Distribution materieller Produkte, in denen ihr ideeller Produkt vergegenständlicht war.
  2. Viele Informationsprodukte sind aber gerade nicht prinzipiell gegen andere ähnliche austauschbar, sondern ihr Gebrauchswert ist in gewissem Maße einzigartig, nur durch Informationsprodukte diesen bestimmten Typs, die auf dem selben ideellen Ursprungsprodukt beruhen, zu realisieren, es sind insoweit monopolistische Informationsprodukte.

Dies kann, muss aber nicht durch besondere Qualitäten des Produkts bedingt sein, sondern ist häufig ein externer Effekt der weiten Verbreitung oder gar Monopolposition des betreffenden Produkts. Dabei führt die Natur solcher Informationsprodukte tendenziell zu einer Verfestigung monopolistischer Positionen, weil der Gebrauchswert steigt, wenn es möglichst viele benutzen und damit diverse Transaktionskosten sinken. Dies gilt etwa für bestimme Softwareprodukte, in idealtypischer Weise für viele Microsoft-Produkte und insb. das Windows-Betriebssystem, das technisch eher schlecht ist, aber weil es fast jede/r hat, es bei fast jedem neuen Computer dabei ist und dafür die meisten Anwendungsprogramme existieren und weil die grundlegenden Anwendungsqualifikationen dafür weit verbreitet sind, hat es in den meisten Fällen von allen Betriebssystemen immer noch den größten oder gar einen einzigartigen Gebrauchswert. Auf dieser Grundlage ist es den Eigentümern des entsprechenden Intellektuellen Eigentumsrechts möglich, sich über die Realisierung des Werts und des darin enthaltenen Mehrwerts weit hinausgehende Preise und Zusatzprofite anzueignen. Auch dieser Effekt ist nicht prinzipiell neu. Er wirkt sich allerdings bei elektronisch vervielfältigbaren Produkten in besonders starkem Maße aus, weil hier nach Überschreiten des "break even points", also der verkauften Auflage, die für die Deckung der in hohem Maße durch den Entwicklungsaufwand bestimmten Kosten notwendig war, jede weitere verkaufte Kopie oder Lizenz ein Vielfaches an Einnahmen gegenüber den geringen zusätzlichen Kosten bringt. Um diese Stellung zu halten und auszunutzen, werden alle möglichen technischen und geschäftlichen Tricks eingesetzt.

Diese Effekte werden häufig unter bloßer Bezugnahme auf die beherrschende Marktposition in Kategorien oligopolistischer Konkurrenz oder von Monopolpreisbildung dargestellt. M.E. ist es aber sinnvoll, hier die Spezifik von Informationsprodukten ausdrücklich zu berücksichtigen. Zwar versuchen auch bei anderen Produkten die Hersteller von Markenartikeln mit Produktdifferenzierung und Werbung mehr oder minder erfolgreich, ihre Waren als einzigartig darzustellen, aber bei Informationsprodukten ist der Unterschied vielfach tatsächlich wesentlich, etwa zwischen verschiedenen Musikstücken oder Texten des gleichen Genres oder auch zum gleichen Thema oder zwischen verschiedener Software für gleiche Zwecke. Es handelt sich also nicht um Produkte, die von irgendeiner Konkurrenz beliebig reproduziert werden können. M.E. macht es Sinn, die über die Realisierung des normalen Profits hinausgehenden Gewinne, die auf der ökonomischen Ausnutzung dieser besonderen Situation beruhen, als Informationsrenten (vgl. Verzola 1) zu betrachten, in Analogie zu der von Marx analysierten Grundrente.

Marx hat die Grundrente analysiert, die sich die Eigentümer knapper, nicht beliebig produzierbarer Produktionbedingungen wie Ackerboden, Rohstoffquellen, Infrastruktureinrichtungen usw. aneignen. Die produzierenden Betriebe sind auf die Nutzung dieser Produktionsbedingungen angewiesen, können andererseits mittels dieser Nutzung überdurchschnittliche Profite erzielen. Soweit die Kapitalisten der Produktionsbetriebe und die Eigentümer dieser Produktionsbedingungen nicht identisch sind, fließt letzteren die Differenz zwischen diesem überdurchschnittlichen und dem normalen Profit als Rente, konkret als Pacht oder irgendeine andere Form von Nutzungsentgelt zu. Da sie auf einer monopolistischen Position beruhen, unterliegen diese Renteneinkommen nicht dem Ausgleich der Profitraten, sondern können dauerhaft und in großer Höhe bestehen.

Nun könnte man meinen, dass Informationsprodukte ganz im Gegensatz dazu doch gerade keine knappen Produktionsbedingungen, sondern beliebig und extrem billig zu vervielfältigen sind. Technisch gesehen ist das richtig, und das ist die Basis für die Verbreitung von "Raubkopien", "Markenpiraterie" usw. Aber gesellschaftlich ist es nicht so, sondern die Informationsprodukte sind als kapitalistisches Eigentum produziert worden. Dieses Eigentumsrecht bezieht sich auf das ideelle Produkt, die Urheberschaft der Idee bzw. des ursprünglichen Produkts, das den folgenden Kopien oder Anwendungen zugrunde liegt. Als solches ist es ein Monopol, und damit eine potenzielle Basis für Renteneinkommen. Dieses Eigentum soll möglichst hoch verwertet werden, indem möglichst nicht nur normaler Profit erzielt wird, sondern darüber hinausgehende Informationsrenten. Die Aneignung solcher Informationsrenten ist eine zentrale ökonomische Triebkraft der kapitalistische Informationsökonomie.

Ein Hauptinteresse des Informationskapitalismus besteht daher darin, die technisch mögliche billige Verbreitung und Nutzung von insb. digitalisierten Informationsprodukten zu verhindern. Dabei kann es, im Softwarebereich oder bei Handys z.B., durchaus sinnvoll sein, bestimmte Produkte sogar kostenlos zu verbreiten, aber nur, um damit die Basis für die möglichst massenhafte Nutzung darauf aufbauender Dienste oder Informationsprodukte zu schaffen. Das gilt bis hinunter zu den "Start-ups" und den einzelnen Unternehmensgründern in diesem Bereich, denn davon träumen sie doch fast alle: jetzt reinklotzen und mit einem Produkt ganz vorne sein, und dann Geld scheffeln ohne Ende. Die Gier nach globalen Informationsrenten ist auch eine zentrale Triebkraft des modernen Imperialismus und eine Hauptmotivation der massiven Bemühungen der entwickelten Staaten und insbesondere der USA, im Rahmen der WTO weltweit ihr Konzept der "Intellectual Property Rights" (IPR) durchzusetzen (vgl. Verzola 1).

4. Aspekte der Produktionsverhältnisse des Informationskapitalismus

Informationsrenten als Umverteilung von Mehrwert

Erträge aus der Aneignung Informationsrenten sind also kein Resultat von Wertschöpfung, die in dem jeweiligen Betrieb stattgefunden hat (auch nicht in dem kapitalistisch modifizierten Sinne der Produktion von `Produktionspreis'), sondern Aneignung von Teilen des anderweitig gesellschaftlich (oder auch international) produzierten Mehrwerts. Besonders hohe Profite von hier aktiven Unternehmen, die z.T. darauf beruhen (z.B. Microsoft, SAP, Cisco) sind also nicht Resultat besonders hoher Wertschöpfung, sondern besonders hoher Ausbeutung nicht der eigenen Beschäftigten, sondern anderer Bereiche der Wirtschaft inkl. der anderer Länder. Sie können also auch nicht unendlich weiter wachsen, sondern sind immer begrenzt durch die insgesamt zu verteilende Mehrwertmasse. Aber man darf dieses Problem auch nicht überschätzen, da bisher und auf absehbare Zukunft der Anteil dieser Unternehmen und ihrer Gewinne an der Gesamtwirtschaft und am Gesamtmehrwert sich durchaus in Grenzen hält. Außerdem kann man nicht sagen, dass das nur oder primär zu Lasten des Kapitals in anderen Branchen geht, sondern es ist verbunden mit und eine Triebkraft von durchaus erfolgreichen Bemühungen, die Mehrwertrate zu steigern und diese Lasten also auf die abhängig Arbeitenden abzuwälzen.

`Human Capital'

In gewissem Maße profitieren aber auch abhängig Arbeitende, insb. hoch qualifizierte IT-Spezialisten, von der Aneignung von Informationsrenten, wenn ihre Einkommen ggf. weit über üblichen Löhnen auch qualifizierter Beschäftigter liegen. Diese Einkommen sind offenbar nicht, wie es Löhne in marxistischer Sicht allgemein sind, durch den Wert der Arbeitskraft bestimmt, also ihren Reproduktionskosten auf dem historisch erreichten und gesellschaftlich im Rahmen der Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit durchgesetzten Niveau (inkl. aller Abgaben, Altersvorsorge und den normalen Annehmlichkeiten des Lebens), sondern sie liegen deutlich darüber, auch unter Berücksichtigung des Qualifizierungsaufwands. Sie können nicht als Ausdruck der besonders hohen Qualifikation und Produktivität dieser Arbeitskräfte begriffen werden, sondern nur so, dass es ihnen aufgrund der Knappheit an solchen Arbeitskräften und ihrer besonderen Bedeutung für den Betrieb gelingt durchzusetzen, dass Teile der besonders hohen Profite, die ihre Betriebe erzielen oder auch nur für die Zukunft erwarten, an sie weitergegeben werden. (Z.T. haben sie aber auch nur erwartet, solche Einkommen erzielen zu können, und wurden dann enttäuscht, nämlich wenn sie mit Aktienoptionen bezahlt wurden, die dann im Zuge des Crashs der High-Tech-Aktien wertlos wurden.) Das ist allerdings auch nichts Neues oder Spezifisches für den Bereich der Informationsökonomie.

Nun ist aber insb. mit Bezug auf solche hoch qualifizierten Arbeitskräfte oft vom `Human Capital' die Rede, und dieses wird als der eigentliche Reichtum in der `New Economy' betrachtet und soll die Grundlage dafür sein, dass hier besonders hohe Wertschöpfung stattfindet. Ich habe vorhin dargelegt, wieso man das m.E. so nicht sehen kann. Diese besonderen Qualifikationen sind lediglich die Grundlage ob diese Person oder der Betrieb in der Lage ist, unter den gegebenen Bedingungen besonders hohe Einkommen oder Erträge zu erzielen. Aber es geht hier um Mechanismen, die zu einer extrem ungleichen Aneignung gesellschaftlich produzierter Werte führen, nicht um die Produktion besonders hoher Werte. Richtig ist allerdings selbstverständlich, dass ein qualifiziertes Arbeitskräftepotential eine wichtige Bedingung für hochproduktive Produktion ist. Aber dabei geht immer um gesellschaftliche Produktion und Produktivität und es ist nur eine Bedingung, und sie ist nicht individualisierbar.

Und sie nicht quantifizierbar, oder höchstens in der Weise, dass man versucht, den gesellschaftlichen Aufwand für die Qualifizierung der Arbeitskräfte zu erfassen, was problematisch genug ist. Aber wenn vom "Wert" des `Human Capital' die Rede ist, insb. auch aus der Perspektive seines unmittelbaren `Besitzers', nämlich des Erwerbstätigen selbst, ist etwas anderes gemeint. Dieser "Wert" des Human Capital ist eine rein fiktive Größe, es handelt sich auch nicht vermittelt um einen Wert im werttheoretischen Sinne, der irgendwie durch seine Reproduktionskosten, letztlich die dazu gesellschaftlich notwendige Arbeit, bestimmt wäre, sondern um einen fiktiven Preis, der quantitativ bestimmt ist durch die Kapitalisierung der erzielten oder künftig erwarteten Einkommen. Es handelt sich sozusagen um den "Shareholder Value" der Arbeitskraft, wobei unter bürgerlichen Verhältnissen die Person selbst ihr eigener und einziger Shareholder ist und dieser fiktive Kapitalwert also prinzipiell nicht in Geld realisierbar ist (außer in besonderen Fällen partiell als `Ablöseprämie'). Der so ermittelte fiktive Wert hängt ab von erwarteten realisierbaren Erträgen bzw. Einkommen einerseits, dem allgemeinen Zinsniveau andererseits, kann also je nach ökonomischer Lage und ihrer Einschätzung heftig schwanken.

In der kapitalistischen Ideologie soll nun allerdings dieses besonders große Human Capital, über das diese Menschen verfügen, die Ursache dafür sein, dass sie so hohe Wertschöpfung und Einkommen erzielen. Dies ist allerdings Unfug und auch ein klassischer Zirkelschluss, denn wie wir eben sahen, ist genau andersherum dieses Human Capital gerade durch die Höhe dieser Einkommen bestimmt, die es hier erklären soll, und davon unabhängig überhaupt nicht zu bestimmen. Dass und in welchem Maße und welches "Können und Verhalten" hohe Einkommen ermöglicht, ist ökonomisch bzw. gesellschaftlich bestimmt und nicht durch die Fähigkeiten der betreffenden Person. Als Legitimationsideologie wird diese angebliche Erklärung allerdings gerne aufgegriffen.

Marx hat im Kapital III diese Phänomen schon genau beschrieben, und ich zitiere jetzt dazu Abschnitte aus MEW 25, S. 483 - 486, die auch schon gleich überleiten zum nächsten Punkt:

Fiktives Kapital

Der Arbeitslohn wird hier als Zins aufgefaßt und daher die Arbeitskraft als das Kapital, das diesen Zins abwirft. Ist z.B. der Arbeitslohn eines Jahrs = 50 Pfd.St. und steht der Zinsfuß auf 5%, so gilt die jährliche Arbeitskraft als gleich einem Kapital von 1.000 Pfd.St. Die Verrücktheit der kapitalistischen Vorstellungsweise erreicht hier ihre Spitze, indem statt die Verwertung des Kapitals aus der Exploitation der Arbeitskraft zu erklären, umgekehrt die Produktivität der Arbeitskraft daraus erklärt wird, daß Arbeitskraft selbst dies mystische Ding, zinstragendes Kapital ist. (...)

Die Bildung des fiktiven Kapitals nennt man kapitalisieren. Man kapitalisiert jede regelmäßig sich wiederholende Einnahme, indem man sie nach dem Durchschnittszinsfuß berechnet, als Ertrag, den ein Kapital, zu diesem Zinsfuß ausgeliehen, abwerfen würde; z.B. wenn die jährliche Einnahme = 100 Pfd.St. und der Zinsfuß = 5%, so wären die 100 Pfd.St. der jährliche Zins von 2.000 Pfd.St., und diese 2.000 Pfd.St. gelten nun als der Kapitalwert des juristischen Eigentumstitels auf die 100 Pfd.St. jährlich. Für den, der diesen Eigentumstitel kauft, stellen die 100 Pfd.St. jährliche Einnahme dann in der Tat die Verzinsung seines angelegten Kapitals zu 5% vor. Aller Zusammenhang mit dem wirklichen Verwertungsprozeß des Kapitals geht so bis auf die letzte Spur verloren, und die Vorstellung vom Kapital als einem sich durch sich selbst verwertenden Automaten befestigt sich. (...)

Aber dies Kapital existiert nicht doppelt, einmal als Kapitalwert der Eigentumstitel, der Aktien, und das andre Mal als das in jenen Unternehmungen wirklich angelegte oder anzulegende Kapital. Es existiert nur in jener letztern Form, und die Aktie ist nichts als ein Eigentumstitel, pro rata, auf den durch jenes zu realisierenden Mehrwert. (...)

Die selbständige Bewegung des Werts dieser Eigentumstitel, nicht nur der Staatseffekten, sondern auch der Aktien, bestätigt den Schein, als bildeten sie wirkliches Kapital neben dem Kapital oder dem Anspruch, worauf sie möglicherweise Titel sind. Sie werden nämlich zu Waren, deren Preis eine eigentümliche Bewegung und Festsetzung hat. Ihr Marktwert erhält eine von ihrem Nominalwert verschiedne Bestimmung, ohne daß sich der Wert (wenn auch die Verwertung) des wirklichen Kapitals änderte. Einerseits schwankt ihr Marktwert mit der Höhe und Sicherheit der Erträge, worauf sie Rechtstitel geben. (...) Der Marktwert dieser Papiere ist zum Teil spekulativ, da er nicht nur durch die wirkliche Einnahme, sondern durch die erwartete, vorweg berechnete bestimmt ist. (...)

Soweit die Entwertung oder Wertsteigerung dieser Papiere unabhängig ist von der Wertbewegung des wirklichen Kapitals, das sie repräsentieren, ist der Reichtum einer Nation gerade so groß vor wie nach der Entwertung oder Wertsteigerung. (...)

Soweit ihre Entwertung nicht wirklichen Stillstand der Produktion und des Verkehrs auf Eisenbahnen und Kanälen oder Aufgeben von angefangnen Unternehmungen ausdrückte oder Wegwerfen von Kapital in positiv wertlosen Unternehmungen, wurde die Nation um keinen Heller ärmer durch das Zerplatzen dieser Seifenblasen von nominellem Geldkapital.

Alle diese Papiere stellen in der Tat nichts vor als akkumulierte Ansprüche, Rechtstitel, auf künftige Produktion, deren Geld- oder Kapitalwert entweder gar kein Kapital repräsentiert, wie bei den Staatsschulden, oder von dem Wert des wirklichen Kapitals, das sie vorstellen, unabhängig reguliert wird.

In allen Ländern kapitalistischer Produktion existiert eine ungeheure Masse des sog. zinstragenden Kapitals oder moneyed capital in dieser Form. Und unter Akkumulation des Geldkapitals ist zum großen Teil nichts zu verstehn als Akkumulation dieser Ansprüche auf die Produktion, Akkumulation des Marktpreises, des illusorischen Kapitalwerts dieser Ansprüche.

Fiktives Kapital ist also der durch Kapitalisierung ermittelte fiktive `Wert' von Wertpapieren aller Art, insbesondere auch Aktien, die nur Eigentumstitel an Anteilen und Profiten eines Kapitals sind, das real z.B. in Form von Gebäuden, Maschinerie oder auch Geld ganz woanders angewendet wird. Der Markt- bzw. Kurswert dieses fiktiven Kapitals kann ein Vielfaches des realen Kapitalwerts betragen, erst recht, wenn die Kurse auch noch spekulativ überhöht sind, wie im gegenwärtigen Casino-Kapitalismus. Analog bestimmt sich übrigens der Bodenpreis im Kapitalismus, nämlich aus der Kapitalisierung der Grundrente (vgl. etwa MEW 25: 636f.), der nach Marx dritten grundlegenden Einkommensform im Kapitalismus neben Profit und Arbeitslohn (MEW 25: 822).

Wenn irgendwo von gewaltigen Summen der Börsenkapitalisierung von Unternehmen die Rede ist, die sich ergeben aus der Multiplikation des Aktienkurses mit der Gesamtzahl der ausgegebenen Aktien, dann ist das genauso solch ein fiktiver Kapitalwert und also in keiner Weise Ausdruck materiell vorhandener Werte bzw. gesellschaftlichen Reichtums. Auch in seriöser volkswirtschaftlicher Statistik wird das Anlagevermögen einer Volkwirtschaft ja nicht in Höhe seines Shareholder Value oder fiktiven Kapitalwerts ausgewiesen, sondern ausgehend von den Anschaffungs- oder Wiederbeschaffungspreisen. Dennoch ist dieser fiktive Kapitalwert ökonomisch wirksam und kann z.B. dazu dienen, den Kauf von anderen Aktiengesellschaften mit eigenen Aktien zu bezahlen (z.B. AOL - Time-Warner, Vodafone - Mannesmann). Und insoweit die Verwendung real erwirtschafteter Einkommen dadurch beeinflusst wird, etwa wenn bei Neuemissionen frisches Geld da rein fließt oder wenn Spekulationsgewinne oder -verluste realisiert werden (müssen), wenn Unternehmen Pleite gehen, weil ihre in fiktivem Kapital bestehenden Aktiva in einem Crash plötzlich entwertet werden (z.B. die japanischen Banken beim Platzen der japanischen Immobilienspekulationsblase) oder wenn die Sparquote sich im Zuge von Börsenbooms oder Crashs ändert, kann das große realwirtschaftliche Auswirkungen haben.

Aber das ist auch prinzipiell nichts Neues und daran wird der Kapitalismus nicht zugrunde gehen. Auch das eine Zeitlang zu beobachtende Phänomen der hohen Gewinne, die bei der Neuemission von High-Tech-Aktien in die Kassen der Unternehmen gespült wurden, ist ähnlich in früheren Phasen beobachtet worden. Es gibt eine Bezeichnung dafür, nämlich der `Gründergewinn', der eingestrichen wird und der sich aus der Differenz zwischen dem aus der Kapitalisierung der erwarteten Erträge berechneten fiktiven Kapitalwert und dem Realwert des Unternehmen ergibt. Auch dass das von wilder Spekulation und betrügerischer Bereicherung von Unternehmensgründern begleitet war, ist nichts prinzipiell Neues. Neu ist allerdings das höhere Ausmaß der Verbreitung von Aktienvermögen in der Bevölkerung, und höhere Quantität führt irgendwann auch zu neuer Qualität. Es gibt auch noch viele weitere neue Erscheinungen und Funktionsweisen des `Shareholder-Kapitalismus', aber das wäre ein neues Thema.

Anlaufverluste und Entwicklungskosten als Investitionen

Bekanntlich waren die Aktienkurse in der Boomphase des `Neuen Marktes' völlig überhöht und beruhten auf Gewinnerwartungen für die Zukunft, die in den allermeisten Fällen völlig unrealistisch waren, und auf dem selbstverstärkenden Herdeneffekt der Spekulation. Aber ebenfalls ganz unrealistisch und falsch wäre die Auffassung, Gewinnerwartungen in diesen Bereichen wären nun ganz und gar verfehlt und die New Economy wäre dauerhaft eine reine Geldvernichtungsmaschine. Zum einen gibt es bereits heute einige hochprofitable Unternehmen und auch bei anderen bisher hohe Verluste einfahrenden Unternehmen ist durchaus realistisch, dass sie in einigen Jahren tatsächlich die Gewinnzone erreichen und einige von ihnen auch sehr profitabel sein und erhebliche Informationsrenten aneignen werden. In vielen Fällen fallen bei neu gegründeten Unternehmen im High-Tech und e-Commerce-Bereich die wesentlichen Kosten bei der Entwicklung bzw. im Zuge der Erringung einer entsprechenden Marktposition an, hier ist erheblicher Kapitalvorschuss notwendig, der heute häufig über die Börse oder andere Kapitalanlagemodelle von vermögenden Privathaushalten eingesammelt wird. Wenn das Produkt kein Erfolg wird, kann dieser Einsatz verloren gehen. Wenn das Produkt aber ein Erfolg wird, winken hohe Informationsrenten und sehr hohe Profite.

Denn wie ich vorhin schon mal feststellte, sind die Aufwendungen für die kreative und Entwicklungsarbeit bei der Erstellung von Informationsproduktion, aber auch die Entwicklungs- und anderen Vorlaufkosten auch bei anderen Produkten ökonomisch ähnlich zu betrachten wie die Erstellung oder der Kauf von Fixkapital. Soweit die Resultate solcher Arbeit in Form von Informationsprodukten wie Softwarelizenzen gekauft werden, werden sie im neuen Europäischen System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen auch als immaterielles Anlagevermögen ausgewiesen, ich meine zurecht. Werden sie aber selbst erstellt, stellen sich diese Aufwendungen nicht als Investitionen dar, sondern als Betriebsausgaben, hauptsächlich normalerweise als Personalausgaben. Während aber die `normalen' Investitionen in der Gewinn- und Verlustrechnung nur im Maße der Abschreibungen als kalkulatorische Kosten auftauchten und ansonsten den Gewinn nicht schmälern, führen diese Personal- und anderen Betriebsausgaben bilanziell zu Verlusten, auch wenn sie ökonomisch betrachtet investiven Charakter haben.

Dieser Effekt gilt auch bei bereits profitablen Unternehmen im Bereich der Informationsökonomie oder auch anderen Bereichen, bei denen hohe Forschungs- und Entwicklungskosten anfallen (z.B. Pharmazie, Biotechnologie, aber auch Fahrzeugbau). Wenn diese in der Lage sind, diese hohen Kosten aus ihren laufenden Erlösen zu decken und dennoch hohe Profite zu erzielen, bedeutet das, dass ihre Profite, die sie aus dem Verkauf ihrer bereits eingeführten Produkte erzielen, real ggf. noch deutlich höher zu bewerten sind. Denn es werden gleichzeitig faktisch Investitionen in künftige Produkte vorgenommen und finanziert in Form der F&E-Abteilungen dieser Unternehmen. Anders als andere Investitionen haben diese aber nie die Form von Profit angenommen bzw. sind als solcher ausgewiesen worden, sondern haben als Betriebsausgaben den ausgewiesenen Gewinn geschmälert. Zugleich produzieren sie so die Voraussetzungen für ihre zukünftigen Gewinne mit den neuen Produkten, die sie jetzt entwickeln.

Klassenverhältnisse im Informationskapitalismus: Cyberlords und Intellectuals/WissensarbeiterInnen

Betrachtet man nun die sich im Sektor der Informationsökonomie darstellende Klassenstruktur, kann man die Eigentümer intellektueller Eigentumsrechte (Software- und Medienunternehmen, aber auch Patentinhaber im Bereich der Pharmazie, Biotechnologie etc.), die Eigentümer der zur Produktion oder Verbreitung der Informationsprodukte nötigen Infrastruktur (z.B. des Internet), und die privilegierten KünstlerInnen, besonders herausragenden Text- oder SoftwareautorInnen, Staranwälte etc., die sich Informationsrenten aneignen und so übermäßige Profite oder Einkommen erzielen können, als die Rentiersklasse der Informationsökonomie bezeichnen. Der philippinische Autor Roberto Verzola hat dafür aus den Wörtern "Cyberspace" und "Landlord" die Bezeichnung "Cyberlord" konstruiert (Verzola 2). Diese "Cyberlords" sind ein immer wichtiger werdender Teil der herrschenden Klasse in den entwickelten Ländern, in den USA vielleicht schon der dominante Teil.

Die überwältigende Mehrheit der geistige Arbeit Leistenden oder `WissensarbeiterInnen' gehört nicht zu diesen "Cyberlords", sondern zu den von Verzola so bezeichneten "Intellectuals", die überwiegend von Einkommen aus ihrer Arbeit leben und überwiegend zur Klasse der abhängig Arbeitenden zu rechnen sind. Allerdings gibt es hier fließende Übergänge zu Gruppen, die "es geschafft haben" und deren Einkommen überwiegend nicht mehr als Arbeitseinkommen im engeren Sinne, sondern als Anteile am angeeigneten Mehrwert zu betrachten sind. Solche Übergangsgruppen zur Bourgeoisie sind kein Spezifikum von "Human Capital"-intensiven Branchen, machen hier nur einen höheren Anteil aus. Insbesondere ist aber in diesem Bereich die ideologische Orientierung verbreiteter, durch besonderen Einsatz in jungen Jahren vielleicht relativ schnell zu Reichtum zu gelangen und für den Rest des Lebens dann ausgesorgt zu haben - in der Ideologie als Resultat der eigenen besonderen Leistungen, real durch Aneignung fremder Arbeit.

Krisenhaftigkeit des Informationskapitalismus

Der in wachsendem Maße Informationsprodukte verwertende und anwendende Kapitalismus weist eine Reihe von Besonderheiten gegenüber dem bisherigen auf, die hier nicht alle angesprochen wurden. Es gibt aber keinen Grund, ihn nicht mehr als Kapitalismus zu betrachten und die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten kapitalistischer Produktion und Reproduktion und der Akkumulation des Kapitals als nicht mehr wirksam zu betrachten. Dazu gehört auch die immanente Krisenhaftigkeit, die sich in zyklischen und in überzyklisch wirksamen Krisenprozessen darstellt. Es bedeutet aber auch, realistischerweise davon auszugehen, dass diese Krisenhaftigkeit zur Funktionsweise des Kapitalismus gehört und keineswegs von sich aus zu seinem Untergang führen wird, und schon gar nicht zu einer vorwärtsweisenden Überwindung in Richtung einer sozialistischen Gesellschaft. Dies ist und bleibt eine Aufgabe gesellschaftlicher und politischer Bewegung.

5. Linke Politik und Perspektiven

Soziale Gestaltung über Gewerkschaften und Staat

Zunächst geht es auch im Informationskapitalismus um sozialen Schutz, auch derjenigen überwiegenden Mehrzahl der intellektuell Arbeitenden, die keineswegs Millionäre oder auf dem Weg dahin sind. Sie leiden zunehmend unter wachsendem Stress und sozialer Unsicherheit, gerade auch wenn sie selbständig tätig sind. Die IG Medien hat große und international beispielhafte Erfolge bei der für Gewerkschaften traditionell kaum vorstellbaren Organisierung von solchen "Freien". Dabei geht es selbstverständlich auch um angemessene Entgelte. Der Maßstab gewerkschaftlicher Aktivität kann dabei aber auch weiterhin nur in einem ausgewogenen Verhältnis von Leistungsprinzip und Solidarität bestehen, nicht darin, privilegierte Gruppen bei der Aneignung möglichst hoher Informationsrenten zu unterstützen.

Der zentrale Ausgangspunkt linker und gewerkschaftlicher Herangehensweise ist m.E., dass auch in diesem Sektor Menschen tätig sind, für die die Anwendung der eigenen Arbeitskraft nicht nur Verwertung ihres "Human Capital" ist, sondern zugleich Lebenstätigkeit, Verwendung der eigenen Lebenszeit. Und als Menschen und in Bezug auf ihre Zeit und Tätigkeit haben sie auch und v.a andere, menschliche Bedürfnisse, sind sie nicht nur sozusagen, um einen Begriff von Marx aufzugreifen, "Charaktermasken" ihres eigenen "Human Capital". Sie haben z.B. Bedürfnisse an angenehmer und kollegialer Arbeit, selbstbestimmter und kürzerer Arbeitszeit und qualitativ guter Arbeit statt ständiger Hetze von einem Projekt zum nächsten. Sie haben sogar moralische Bedürfnisse und gesellschaftliche Wertorientierungen auf Solidarität und Gerechtigkeit und sie haben Möglichkeiten, diese betrieblich und gesellschaftlich geltend zu machen.

Solche Prozesse voranzubringen und zu fördern, durch Regulierung und soziale Gestaltung andere Kriterien einzubringen als möglichst hohe Produktivität im Wirtschaftskrieg, das ist die Aufgabe von Gewerkschaften und Linken. Diejenigen in der Informationswirtschaft Tätigen, die dort diese Bedürfnisse artikulieren, sich kritisch mit neuen Managementmethoden auseinandersetzen und Kommunikation darüber unter den Beschäftigten organisieren, das sind die Pioniere in diesem Bereich (vgl. etwa Pickshaus u.a.).

Mal zugespitzt und ohne die praktischen Schwierigkeiten unter den momentanen Bedingungen leugnen zu wollen: Ob und inwieweit die zeitlichen Anforderungen an solche Jobs mit Regelarbeitszeiten vereinbar sind, hat wenig mit dem grundsätzlichen Charakter von Informationsarbeit zu tun, sondern mit den heute hier üblichen und durchaus veränderbaren Konkurrenz- und Arbeitsbedingungen. Rein technisch gesehen ist Informationsarbeit problemloser als irgend eine andere Arbeit unterbrechbar. Ob den Einkommen in der Informationswirtschaft das Leistungsprinzip und soziale Kriterien zugrunde liegen oder ob die Ungleichheiten immer größer werden, hat nichts mit den besonderen dort herrschenden Qualifikationsanforderungen an die Arbeit zu tun, sondern mit den sozialen Bedingungen ihrer Anwendung und der Verteilung der gesellschaftlichen Wertschöpfung.

Ob eine Gesellschaft diese wachsenden Ungleichheiten zulässt oder dagegen anreguliert, ist wiederum gesellschaftlich und nicht technisch bestimmt. Es ist z.B. eine Frage der Tarifpolitik und des Arbeitsrechts, des Urheberrechts, des Patentrechts, der Sozialpolitik und des Steuersystems. Auch ein qualitativ hochstehendes und auf Chancengleichheit (also Abbau statt Hinnahme vorgegebener Ungleichheiten) ausgerichtetes Bildungswesen und die Förderung ständiger Weiterqualifizierungsmöglichkeiten ist wichtig ebenso wie ein öffentliches Hochschul- und Wissenschaftssystem. Nur sollte man sich nichts vormachen: man wird die ungleiche Verteilung von "Human Capital" nicht mit besserer Bildungspolitik in den Griff bekommen, denn die Ungleichheit der erzielbaren Einkommen ist ja wie dargestellt kein Ausdruck irgendwie objektivierbarer individueller Leistungsbeiträge oder angeeigneter Bildung. Wenn man die soziale Ungleichheit begrenzen will, muss man dies direkt mit den genannten Instrumenten angehen, es wird kein automatisches Resultat von mehr Bildung sein.

Sozialistische Perspektiven

The key to the transformation of a monopolistic information economy towards a non-monopolistic information economy is to replace monopolistic IPRs [Intellectual Property Rights] with other means of rewarding intellectual activity. This transformation will of course be opposed to the very end by the cyberlord class, which furthermore is politically and economically very strong. As the privatization process subsumes under cyberlord monopolies more and more of what is now public domain information, the public of information users will acquire a higher level of political consciousness, and this struggle will eventually express itself as the main conflict in a monopolistic information economy. As such, it will increasingly manifest itself in cultural, economic as well as political fronts. -- Roberto Verzola.

SozialistInnen müssen in den Veränderungen der Produktivkräfte und der Ökonomie die Ausgangspunkte und Widersprüche suchen, die auf eine mögliche sozialistische Überwindung des Kapitalismus verweisen. In Bezug auf die Informationsökonomie liegt ein zentraler Widerspruch zwischen der Möglichkeit, Informationen universell und praktisch kostenlos zur Verfügung zu stellen einerseits, und der Einschränkung dieser Möglichkeit und damit der Entwicklung des gesellschaftlichen Reichtums sowie der Aneignung erheblicher Teile des gesellschaftlich produzierten Reichtums durch die Monopolisierung intellektueller Eigentumsrechte andererseits. Die daraus resultierenden Interessengegensätze zwischen den Eigentümern dieser Rechte auf der einen Seite und der breiten Masse sowohl der Informationsnutzer als auch der intellektuell Arbeitenden sowie der Entwicklungsländer, deren Abstand hier noch viel größer und unaufholbarer ist als in allen anderen Bereichen, auf der anderen Seite, kann eine zentrale Triebkraft zukünftiger Auseinandersetzungen sein.

Bisher erfüllt der Informationskapitalismus seine "historische Mission", zum Zwecke der Aneignung von Informationsrenten in gewaltigem Tempo die informationstechnische Erschließung und Durchdringung der Welt voranzutreiben. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist die fortschreitende Privatisierung und Kapitalisierung der Medienwirtschaft und -infrastruktur bis hin zum Bildungswesen sowie Polarisierung der Einkommen und Vermögen. Auf die Dauer ist dieser Privatisierungs- und Polarisierungsprozess aus der Perspektive der Gesellschaften bzw. der ganz überwiegenden Mehrheit der Menschen kontraproduktiv und sozial zerstörerisch, führt zur Einschränkung von Entwicklungsmöglichkeiten, kultureller Vielfalt und Demokratie.

Im Bereich der Informationsprodukte gelten tatsächlich einige häufig zitierte Sätze von Marx in den Grundrissen, die er dort vielleicht vorschnell und zu weit voraussehend auf die große Industrie bezogen hat, nämlich dass "das allgemeine gesellschafliche Wissen, knowledge, zur unmittelbaren Produktivkraft geworden ist" (Gr. 594) [nicht etwa das individuelle "Human Capital", RK] und: "Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums [nicht etwa des Werts, denn dessen Quelle ist immer die Arbeit, RK] zu sein, hört und muss aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert das Maß des Gebrauchswerts." (Gr. 593) Bisher ist allerdings in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Tauschwert, also das Geld, mehr denn je das Maß aller Dinge, und die Kapitalisten aller Sektoren haben das gemeinsame Interesse, dass es dabei bleibt. Die Monopolisierung von intellektuellen Eigentumsrechten und darauf beruhende Aneignung von Informationsrenten ist genau der Mechanismus, dies auch in Bezug auf Informationsprodukte durchzusetzen.

Sozialismus bedeutet unter anderem, dies aufzuheben, allgemeinen und freien Zugang aller zum gesellschaftlichen Wissen zu ermöglichen, die dazu grundlegende Infrastruktur und Produktion zu vergesellschaften, wissenschaftliche Arbeit tatsächlich als "allgemeine Arbeit" zu setzen, also unmittelbar für die Gesellschaft statt für private Verwertung. Dies schließt ein, angemessene Organisations- und Vergütungsformen dafür zu entwickeln (denn es reicht weder aus, auf Freie Software zu setzen, so sinnvoll das ist, noch kann das alles im unmittelbaren öffentlichen Dienst ablaufen), denn in überwiegenden Bereichen der Wirtschaft wird auf absehbare Zeit auch weiterhin die Arbeitszeit als Maß des Werts eine zentrale Rolle für die Produktion und Verteilung spielen. M.E. gilt das auf absehbare Zeit auch noch unter sozialistischen Verhältnissen, ich bin also gegenüber Vorstellungen einer `GPL-Gesellschaft' mehr als skeptisch.

Die sozalistischen Potenziale scheinen in allen Bereichen durch, wo Wissenschaft, Kultur und Politik sich ihrer Unterwerfung unter die Logik von Kapitalverwertung widersetzen und der Gebrauchswert oder die Tätigkeit selbst im Mittelpunkt stehen. Das Problem besteht darin, dass die notwendige gesellschaftliche Alimentation dieser Bereiche als Abzug vom zu verteilenden Reichtum erscheint und hier ein unmittelbarer Kampf gegen die Kürzungs- und Privatisierungsbestrebungen des Kapitals und kapitalorientierter Politik zu führen ist.

Gerade im Bereich der Software hat das sozialistische Prinzip aber gute Chancen, sich auch ökonomisch auf die Dauer durchzusetzen, indem es auf Freie Software setzt und so seine Vorzüge zur Geltung bringt und die Monopolisten auf dem eigenen Feld schlägt. Auch viele kapitalistische Staaten haben durchaus Interesse, dies zu fördern, jedenfalls solange die Freie Software in Konkurrenz zu ganz überwiegend ausländischen, konkret US-Produkten steht, und damit die Informationsrenten ins Ausland fließen und auch das einheimische Kapital, also den `Standort' und die Leistungsbilanz belasten. Dies verweist aber auch auf Grenzen und zu erwartende Widerstände.

A. Literatur


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