Politische Techniken für das 21. Jahrhundert
Abstract
Gedanken- und Handlungs-Impulse ausgehend von der Frage:
Wie können/müssen/sollen die politischen Verfahren und Strukturen aussehen, mit denen wir dem exponentiell sich verkomplizierenden Problembewältigungsdruck einer postmodernen, sich immer weiter ausdifferenzierenden und global vernetzenden Informationsgesellschaft nicht nur reaktiv begegnen sondern selber proaktiv gestaltend entgegentreten können?
Die digitale Revolution ist dabei, alle Formen unseres gesellschaftlichen Lebens nachhaltig zu verändern. Durch die neuen Möglichkeiten der digitalen Vermittlung und Verarbeitung von Informationen - wie sie besonders durch das Internet möglich wird - eröffnen sich neue Chancen aber auch Risiken für politisches Handeln. Wenn alles sich wandelt, wie muß Politik darauf reagieren?
Wie soll, kann und muß sich die Art und Weise, wie wir uns organisieren, um jene Probleme zu lösen, die wir alleine nicht bewältigen können, ändern? (Dies ist der funktionale Kern von Politik.)
Schließlich ist Politik weitaus mehr, als das staatszentrierte und gesetzesgläubige Erlassen und bürokratische Anwenden von kollektiv verbindlichen Entscheidungen (i.e. Gesetze). Politik im neuen, prozeduralen Sinne einer dynamischen Bürgergesellschaft, umfasst vielmehr alle möglichen Vorgehensweisen, wie kollektiv verbindende Probleme gemeinsam angegangen werden können. Die staatliche Ebene ist dabei nur noch eine von vielen. Der Schwerpunkt soll und wird vermehrt hin zu markt- und bürgerschaftlichen Verfahrensweisen wandern.
Besonders im Hinblick auf die radikalen Umbrüche im IuK-Bereich ergibt sich die Frage: Wie lassen sich jene aus Digitalisierung und Miniaturisierung resultierenden technischen Neuerungen in den politischen Prozessen nutzen?
Es wird immer deutlicher, daß wir die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht mit jenen veralteten politischen Techniken meistern können, die viele Bereiche in Politik und Gesellschaft nach wie vor noch prägen. Anstelle von nationalstaatlich verhafteten, im hierarchisch, dirigistischen Denken verwurzelten, zentralistisch und bürokratisch ausgeübten Vorgehensweisen werden vermehrt Verfahren benötigt, die evolutionär vernetzend, auf selbst-organisierende, individuell selbstbestimmende und fallbezogen flexible Art und Weise funktionieren. Kurz: Anstelle von politischen Techniken des 19. und 20. Jahrhunderts, die auf command & control setzen, bedarf es eines Paradigmenwechsels hin zu kollektiven Problemlösungsverfahren, die interaktiv und partizipativ wirken.
Benötigt wird eine prozedurale Bewußtseinserweiterung, die die vernachlässigte dritte Dimension von Politik wieder in das Augenmerk rückt. Denn Politik besteht nicht nur darin, daß bestimmte gesellschaftsrelevante Mißstände und Bedürfnisse (wie z.B. BSE, Altersvorsorge, Straßenbau,) die auf bestimmten politischen Ebenen (von der kommunalen bis zur inter- und supranationalen) Eingang in die Öffentliche Debatte finden, von politischen Akteuren (staatlichen und gesellschaftlichen wie Verbänden, Gewerkschaften, Bürgerinitativen) angegangen werden, sondern, daß auch erkannt, debattiert und entschieden wird, auf welche Art und Weise dies erfolgen kann. Mittels welcher Verfahren (Wie) virulente Probleme (Was), durch/mit/gegen bestimmte Personenkreise und Institutionen (Wer) angegangen werden, stellt das Wesen von Politik dar. Das in diesen Impulsen postulierte prozedurale Denken richtet seine Aufmerksamkeit dabei auf die verfahrenstechnische dritte Dimension, denn auf das Wie kommt es im Politischen insbesondere an: Wer die Spielregeln bestimmt, bestimmt das Spiel.
Dieses Umdenken ist weniger kategorisch, als - aufgrund der sich stetig zuspitzenden politischen Handlungsunfähigkeit - pragmatisch begründet: Denn wie kann Politik in der Postmoderne auf eine humane Art und Weise überhaupt noch gelingen? Wie können wir den rasanten Fortschritt noch meistern, die Chancen nachhaltiger und gerechter nutzen, die vermehrten Risiken dagegen besser im Griff behalten?
Zu meinen, daß dies mit den herkömmlichen Techniken aus einer vergangenen industriestaatlichen Epoche noch gelänge, ist nicht nur illusionär, sondern auch unverantwortlich. Doch wie sollen und können diese politischen Techniken des 21. Jahrhunderts aussehen?
Auffallend ist, daß durch das naturwissenschaftlich dominierte Innovationsverständnis, ein krasses Ungleichgewicht zwischen der Wertschätzung und Förderung von physischen und politisch-sozialen Innovationen besteht.
Während es für praktisch jeden naturwissenschaftlichen Technologiezweig Forschungs- und Gründerzentren gibt, besteht für die nicht minder nützlichen politischen Zukunftstechnologien fast keine Förderungsstrukturen und Forschungseinrichtungen. Dabei ist offensichtlich, daß wir bei einer Staatsquote von fast 50% und einem umfassenden Reformstau einen gewaltigen Innovationsbedarf auch und gerade an politischen Techniken haben, um im steigenden internationalen Standortwettbewerb unseren Lebensstandard verteidigen zu können. In einer sich global vernetzenden Dienstleistungsgesellschaft ist mit einem gewaltigen Markt für den angepassten Einsatz von innovativen politischen Techniken zu rechnen.
Ohne damit einem mechanistischen Gesellschaftsbild der Plan- und Steuerbarkeit das Wort zu reden, werden wir ohne einen umfassenderen und nachhaltigeren Technik-Begriff die Zukunft nicht meistern können. Dies stellt kein begrifflicher Mißbrauch dar; bezeichnet doch techne im ursprünglichen Sinne des Wortes grundsätzlich all jene (Kunst-)Fertigkeiten und Werkzeuge die benötigt werden etwas Bestimmtes zu erreichen. Wieso sollen dazu nur die physisch fassbaren, also naturwissenschaftlich beschreibbaren Hilfsmittel gehören, nicht aber auch politische und soziale Verfahren und Strukturen? Gerade die Art und Weise, wie wir an der Lösung gemeinsamer Probleme arbeiten, hat doch einen entscheidenden Einfluß darauf, wie groß die Chancen sind, daß wir kollektive Mißstände beheben können - wie hoch also unser Wohlergehen ausfällt.
Will Politik darum weiterhin handlungsfähig sein, so bedarf sie selber innovativerer tools & skills, die sich im funktionalen Sinne als Techniken, eben als politische Techniken beschreiben lassen.
Gemeinsames Charakteristikum dieser innovativen politische Techniken des 21. Jahrhunderts ist, daß das Problem-Lösungs-System in einen Raum geholt wird. Wie dies allerdings erfolgen kann, dafür gibt es 1001 Möglichkeiten; jedenfalls wesentlich mehr als die vorherrschenden.
Dieses Zusammenholen der betroffenen und geforderten Teilsysteme in einen Raum kann - wie bei Beteiligungsverfahren und Großgruppeninterventionen (z.B. Planungszellen, Bürgerforen, Fokusgruppen, Zukunftskonferenzen) - in einem realen Raume, also unmittelbar, face-to-face gelingen, dies kann prinzipiell aber auch internetgestützt in einem virtuellen Raum - z.B. nach dem open-source Prinzip arbeitend - erfolgen.
Diese innovativen, politischen Techniken basieren auf der schlichten Erkenntnis, daß die Wahrscheinlichkeit, daß ein nachhaltig wirkender Lösungsweg erarbeitet und umgesetzt wird, in dem Maße steigt, wie die für das Problemverständnis und die Umsetzung notwendigen Personen, Informationen und Standpunkte möglichst frühzeitig und umfassend in den Prozeß einfließen. Zum Einen steigt die Qualität des Inputs und die Legitimation der getroffenen Entscheidungen durch die Offenheit und Transparenz der Verfahren. Des Weiteren vergrößert sich die Umsetzungsbereitschaft durch die Inklusion der verschiedenen Stakeholder: Alleine schon aufgrund der Tatsache, daß man eher bereit ist jenes umzusetzen, woran man selber mitgearbeitet hat.
Allerdings sind hier keine automatisch wirkenden Wundermechanismen zu erwarten. Vielmehr liegt die Kunst darin, die Verfahren maßgeschneidert an den vorliegenden Problemlösungsbedingungen auszurichten. Grundvoraussetzung der Funktionsfähigkeit aller innovativen politische Techniken muß dabei sein, daß es ihnen gelingt, die gestiegene Problemkomplexität im Verfahren selbst wiederzuspiegeln. Die mangelnde Fähigkeit der Abbildung der explodierenden Außenkomplexität in den herkömmlichen experto-bürokratischen Verfahren unseres staatsfixierten, überregulierten Wohlfahrtsstaates ist ein Hauptgrund für unsere Gesellschaftskrise.
Die maßgeschneiderte Weiterentwicklung und Erprobung nicht nur realer sondern besonders auch virtueller politischer Techniken in Form partizipativer und interaktiver Vernetzungsverfahren ist dringend notwendig, um die Effizienz und Effektivität von Politik zu erhöhen. Wir brauchen einen Innovationsschub in allen Zukunftstechnologien, nicht nur den zur Zeit hofierten Gen- und IuK-Techniken.
Gesucht sind Theoretiker und Praktiker, die an der Entwicklung solch eines F+E-Projektes Politische Innovationen für das 21. Jahrhundert und deren Verbreitung und Umsetzung mitwirken.
Diskussion auf der Oekonux-Liste