Widerstand und Vision

Jörg BergstedtMail link

1. Die Verbindung von politischer Aktion gegen das Alte und die Entwicklung des Neuen

Perspektivendiskussion - in der Nische. Widerstandsaktionen - kurzfristige Erregungsknaller ohne erkennbare Ziele. Soweit die Lage. Veränderungen?

Die Erfahrungen sind bisher schlecht. Oft geradezu diffamierend reden AktivistInnen aktionsorientierter Gruppen und DiskutantInnen in Theoriegruppen übereinander - die einen werfen den anderen Theorielosigkeit und Aktionismus vor, umgekehrt ist `TheoretikerInnen' bis hin zu Sesselfurzern die Rede. Versuche der Verknüpfung enden fruchtlos, kleine Ansätze werden nicht wahrgenommen - so geschah es 1999/2000 in der Vorbereitung des Expo-Widerstands, als ein Versuch der Verknüpfung von Widerständigkeit, gesellschaftsanalytischer Reflexion und Entwicklung von Visionen unter dem Titel `Freie Menschen in Freien Vereinbarungen - Gegenbilder zur Expo 2000' versucht wurde, aber schnell ein Randdasein fristete, während im Kern das Nebeneinander von Theorie, Praxis und der vermittelnden Strategiefrage weiterging.

Zu den meisten Anlässen, insbesondere die drei großen `Schlüsselreize' linken Aktionstourismusses (zumindest in Deutschland) wie internationale Wirtschaftsgipfel, Castor und Naziaufmärsche, bleibt jeglicher Versuch der Verknüpfung von Widerstand und Perspektive aus. Aber sie wäre wichtig: Widerstand schafft Erregungskorridore, in denen die Diskussion dann stattfinden kann. Widerstand ohne die Diskussion schafft nur Erregung ohne Inhalt und kontinuierliche Prozesse (`Eventhopping' ist eine Folge). Der Diskussion aber fehlt ohne Widerstand auch etwas grundlegendes - nämlich die Chance breiter öffentlicher Wahrnehmung und gesellschaftlicher Debatte. Eines ohne das andere schafft immer nur Nischen und eigene Sümpfe.

Beispiele:

2. Im Widerstand die Vision benennen und verwirklichen

Der Widerstand, von der direkten Aktion bis zur Verweigerung, muß nicht selbst ständig innovativ und neu sein. Vielmehr wird eine Weiterentwicklung der Methoden und Wirkung aus der Reflexion des Bisherigen, dem stetigen Wandel und dem experimentellen Ausprobieren erfolgen. Die konkreten Strategien und Aktionsformen sind eine Mischung als bewährtem Alten, weiterentwickeltem Alten und ganz neuen Versuchen.

Die Verbindung mit dem Visionären erfolgt auf zwei andere Arten (die heute im Widerstand weitgehend fehlen):

3. Aspekte und Grundlagen direkter Aktion

Das Konzept von Widerstand und direkter Aktion bedeutet keine plumpen Vokabeln für besonders radikal posierendes Polit-MackerInnentum, sondern politische Strategien. Sie verbinden die Idee des Eingreifens in gesellschaftliche Verhältnisse, um den Raum zu schaffen für eine Diskussion um Kritik und Perspektiven bis hin zu Visionen. Dieser Dreiklang der direkten Aktion, des daraus entstehenden `Erregungskorridors' mit seinen Chancen zur gesellschaftlichen Debatte und das Einbringen von Positionen und Visionen ist nicht aufhebbar. Aktion ohne Position und Vision schafft wirkungslose Effekte. Visionen und Konzepte ohne direkte Aktion schafft Nischen und Cliquen, aber beeinflußt keine gesellschaftlichen Prozesse und Diskurse.

Gesellschaftliche Verhältnisse bestehen aus den Normen, Diskussionen, Kategorien, d.h. den sich verändernden, aber aufeinander fußenden Diskursen sowie den Strukturen, Institutionen usw., die in einem wechselseitigen Verhältnis von den Diskursen geprägt sind, aber auch aus ihrer Machtstellung heraus auf diese zugreifen können (mensch denke allein an die Bildungsinstitutionen und Medien).

Die Entwicklung eines Konzeptes direkter Aktion als gezielt Diskussionen schaffende und füllende Form widerständiger Politik ist vielerorts wenig entwickelt und braucht intensiver Impulse, vor allem aber auch angesichts der notwendigen Verbindung zwischen Aktion und Position/Vision der konkreten Kooperation bisher meist getrennter Zusammenhängen stärker praktischer und stärker theoretischer Orientierung.

Im folgenden sollen statt eines geschlossenen Konzeptes Aspekte der direkten Aktion benannt werden:

Direkte Aktion

Direkte Aktion bezeichnet den Dreiklang aus eine praktischen, direkten, d.h. unmittelbaren Handlung, dem Entstehen und dann dem Füllen eines Erregungskorridors in der Gesellschaft. Direkte Aktion kann intervenierend gegen einen konkreten Mißstand, symbolisch oder provozierend sein. Ziel ist das Entstehen einer öffentlichen Wahrnehmung und Thematisierung (`Erregung'), in der eine thematische Debatte möglich wird. In der Erregung können Kritiken, Positionen, Ideen, Vorschläge und Visionen, d.h. umfassende Alternativen so eingebracht werden, daß sie in die Debatten eingreifen.

Formen der Aktion können z.B. Militanz, symbolische Handlungen, verstecktes Theater, Kommunikationsguerilla und viele andere Formen sein, die geeignet sind, öffentliches Interesse zu erregen, Hinterfragen einzuleiten - eben Platz (Erregungskorridore) zu schaffen für die Debatte, in der Positionen und Visionen Platz finden.

Erregungskorridor

Dieser Begriff bezeichnet bildlich die Reaktion von `Gesellschaft' auf eine intervenierende, symbolische oder provozierende Aktion. Berichterstattung in den Medien, öffentliche Aufregung, Distanzierung oder Zustimmung, Hinterfragen oder Hetzen - all das gehört zum Erregungskorridor, auch Veranstaltungen, Debatten bis hin zu Gerichtsprozessen. In all diesen Zuständen des Nicht-Gleichgewichts ist eine Debatte um Positionen und Visionen möglich. Ohne den Erregungskorridor können sich Ideen nicht ausdehnen, in Prozessen verändern und Gesellschaft entwickeln.

Widerstand

Widerstand bezeichnet eine Form des Handelns, das darauf ausgerichtet ist, ein anderes Handeln zu beenden oder zumindest phasenweise zu stoppen. Im politischen Raum dient Widerstand der Beendigung eines unerwünschten Zustandes - endgültig oder zwecks der Debatte um eine Veränderung der Verhältnisse.

Prägendes Kennzeichen des Widerstandes ist die Widerständigkeit, d.h. es wird versucht, eine grundlegende Veränderung zu erreichen - und zwar aus einer Position der Unabhängigkeit heraus. Die angegriffenen Verhältnisse werden nicht als Rahmen für das eigene Handeln betrachtet. Widerstand ist mit selbstbestimmten Handlungsformen, einer Autonomie des politisches Agierens verbunden.

`Von unten'

Beschreibung für einen Prozeß, in dem gleichberechtigte Menschen ohne Nutzung von Machtmitteln für Ziele eintreten bzw. diese umsetzen. Damit ist `von unten' deutlich zu unterscheiden von `unten'. Von unten beschreibt einen Prozeß, nicht jedoch eine bestimmte Personengruppe, die in der Regel (wenn auch sehr unscharf) mit dem Begriff `unten' gemeint sind. Von unten sagt aus, daß die Prozesse aus einem gleichberechtigten Zusammenhang von Menschen heraus entstehen, ohne daß Dominanzen und Herrschaftsstrukturen entstehen bzw. wirken. Wichtig ist also vor allem das Wort `von', das die Prozeßhaftigkeit benennt. Das ist ein Idealzustand, der als Vision für die politische Bewegung zum Ziel innerer Strukturdebatten und Aktionsformen gelten kann.

(aus: Gruppe Gegenbilder, 2000: Freie Menschen in Freien Vereinbarungen)

Widerstand von unten

Umfassendes Konzept politischer Organisierung, die sowohl den Aspekt des Widerständigen, also einer eigene Regeln setzenden, auf grundlegende Veränderungen zielenden Politik als auch die Idee einer Organisationsform verwirklicht, bei der ein gleichberechtigtes Miteinander handlungsfähiger und selbstorganisierter Basis- und Projektgruppen mit den von ihnen entwickelten Vernetzungs- und Kooperationsformen, gemeinsamen Aktionen und Positionen prägend sind. Diese Art politischer Organisierung entscheidet sich grundlegend von den aktuell dominierenden Formen formaler, repräsentativ-demokratischer bis zentralistischer sowie informell-dominanzgeprägter Struktur.

Autonomie

Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Innerhalb einer politischen Bewegung bedeutet das Autonomie-Prinzip, daß alle Teile von Bewegung eigenständig sind, arbeiten und entscheiden, für sich sprechen und mit ihren Handlungen von sich aus so agieren, daß auch andere ihre Ideen und Aktionsformen umsetzen können. Autonomie schließt nicht aus, daß in Bündnissen oder bei Aktionen gemeinsame Absprachen erfolgen, die den Rahmen abstecken. Autonomie ist ein strategisches Kernelement emanzipatorischer Gesellschaftsvisionen und einer Bewegung von unten, was bedeutet, daß die Grenze der Autonomie und damit auch der Toleranz genau dort liegt, wo Autonomie und emanzipatorische Strukturen in Frage gestellt werden.

(aus: Gruppe Gegenbilder, 2000: Freie Menschen in Freien Vereinbarungen)

Freiraum

Sozialer Zusammenhänge wie Gruppen, Organisationen, Lebenszusammenhänge, Häuser oder Plätze mit gesellschaftlichen Handlungen, die für sich oder gemeinsam in einem aktiven, widerständigen Prozeß die Zwänge der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen reduzieren. In Freiräumen sind die Möglichkeiten zur Entwicklung eigener Formen des gleichberechtigten Miteinanders oder widerständiger Aktionen unabhängiger von den äußeren Zwängen und daher besser möglich.

(aus: Gruppe Gegenbilder, 2000: Freie Menschen in Freien Vereinbarungen)

Gewalt

Direkte oder indirekte Ausübung von physischem oder psychischen Zwang zur Durchsetzung von Interessen. Zu unterscheiden sind:

  1. Gewalt von oben als Ausübung von Zwang aus einer Position der Macht, z.B. beim Staat gegenüber den Menschen auf Basis des Gewaltmonopols, zwischen Staaten aufgrund einer ökonomischen und militärischen Überlegenheit oder zwischen Menschen aufgrund von physischer oder struktureller Überlegenheit;
  2. Strukturelle Gewalt als sachlicher Zwang resultierend aus den Verwertungsstrukturen des Kapitalismus wie dem Zwang, seine Arbeitskraft zu verkaufen oder informellen Machtstrukturen in der Gesellschaft wie patriarchalen Strukturen;
  3. Gewalt von unten als sich gegen Gewalt von oben und strukturelle Gewalt richtende individuelle oder soziale Notwehr.

Die verschiedenen Gewalttypen werden in unserer Gesellschaft unterschiedlich bewertet. Gewalt durch Staaten oder Konzerne wird in der Regel durch Gesetze gedeckt und wird daher geduldet bis akzeptiert. Demgegenüber gilt Gewalt von unten als unterschiedlich legitim. So wird Gewalt als individuelle Notwehr gegen unmittelbare physische Gewalt gerechtfertigt - bis hin zu fragwürdigen Formen der Selbstjustiz, die keine Notwehr mehr darstellt. Im Falle der sozialen Notwehr überwiegt dagegen die Ablehnung. Individuen gilt nahezu weltweit der Schutz auch der Obrigkeit (z.B. über die christliche Nächstenliebe), während Personengruppen diskriminiert werden. Krieg, soziale Diskriminierung von Frauen, AusländerInnen, Behinderten und vielen andere Formen der unterdrückenden Gewalt sind an der Tagesordnung, Vertreibung oder Polizeigewalt weit verbreitet. Soziale Notwehr direkt gegen diese Gewalt oder auch indirekt bis symbolisch gegen die gewalttragenden Strukturen (Kasernen, Polizeiausrüstung, Kampfjets, Kreiswehrersatzämter) oder gewalt=herrschaftsverherrlichende Propaganda (Gelöbnisse, Expo 2000 usw.) ist genauso von der strukturellen Gewalt zu unterscheiden, wie die Selbstverteidigung gegen eine Vergewaltigung niemals dieselbe Gewalt ist wie die Vergewaltigung selbst.

(aus: Gruppe Gegenbilder, 2000: Freie Menschen in Freien Vereinbarungen)


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