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Name / Ort: Wolf-Andreas Liebert
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Vortrag : Demokratisierung wissenschaftlicher Information 
Öffentlichkeit durch die Massenmedien und das Lösungspotenzial des OpenSource-Modells
Datum/Zeit: 29.4. / 15:00
Abstract: Es ist häufig die Rede von der so genannten ,,Wissensgesellschaft``. Dabei wird etwa gefordert, dass wissenschaftliches Wissen, insbesondere naturwissenschaftliches Wissen, an die Öffentlichkeit vermittelt werden müsse, damit die Öffentlichkeit in gesellschaftlichen Entscheidungssituationen, etwa bei der Durchsetzung von Ozongrenzwerten oder dem Verbot von Treibhausgasen, mitdiskutieren und entscheiden könne. Dies hat zur Voraussetzung, dass die Öffentlichkeit über die bestehenden Systeme der Wissenschaftsvermittlung überhaupt informiert werden kann. Diese Voraussetzung muss jedoch folgendermaßen hinterfragt werden: Welche Veränderungen erfährt naturwissenschaftliches Wissen, wenn es über die Medien an die Öffentlichkeit vermittelt wird? Wie unterscheiden sich Handlungsmuster und Gegenstandskonstitution in Fachtexten und in journalistischen Vermittlungstexten? Sind die Unterschiede so stark, dass noch davon gesprochen werden kann, dass von den gleichen Gegenständen die Rede ist? Entsteht durch die Vermittlung naturwissenschaftlichen Wissens durch die Massenmedien nicht einfach ,,eleganter Unsinn fürs Volk``?

Ausgehend von einem theoretisch gewonnenen Modell der Wissenschaftsvermittlung und der Analyse eines Korpus von mehr als 200 Fach- und Vermittlungstexten zum Thema ,,Ozonloch`` (darunter Bild der Wissenschaft (1986-1998) und die ZEIT (1985-1988)) kann folgendes Fazit gezogen werden: Es sind nicht nur einzelne Artikel, die bestimmte Abweichungen vom Vermittlungsmodell aufweisen, sondern die gesamte Berichterstattung in Bild der Wissenschaft und der ZEIT über Jahre hinweg (Liebert 2000). Dabei entstehen auch Gebilde, die man aus der Perspektive des Fachdiskurses als Nonsensmodelle beschreiben kann, die aber Teil der von den Medien vermittelten Wirklichkeit werden und bei dem Gewahrsein ihres illusionären Charakters zu Glaubwürdigkeitskrisen führen. Zwar ist der Rezipient der Wissenschaftsberichterstattung in den Medien relativ frei in seiner Aneignung, wenn jedoch wesentliche Inhalte unmerklich vereinfacht oder verfälscht werden, könnte eine Aneignung nur dann diese Defizite ausgleichen, wenn der Rezipient die Zeitung weglegt und damit beginnt, die Quellen zu studieren, d.h. einen eigenständigen Prozess der Wissensorganisation initiiert. Wo er dies nicht tut, ist er darauf angewiesen, mit seinem eigenen vorgängigen Sinnsystem das vereinfachte, verfälschte Wissen in sein bisheriges Wissensnetz einzupassen. Dabei käme eine ,,spontane Reparatur`` der vermittelten Defizite einem Wunder gleich; viel wahrscheinlicher ist, dass der (defizitäre) Input zu noch unbestimmterem Wissen oder Pseudo-Wissen führt. Diese Vermutung wird auch durch andere Untersuchungen gestützt, in denen gezeigt wurde, dass eine zweifache Verzerrung stattfand: Dem bereits defizitären Input durch die Medien folgte eine weitere Verzerrung durch die Rezipienten, die teilweise nicht mehr mit der verzerrten Vermittlung der Medien allein erklärbar war (Bell 1993). Zu bedenken ist hierbei, dass diese ,,Wissens``-Gebilde zwar auf fiktiven Realitätsdefinitionen beruhen, die Ergebnisse der Handlungen, die nach diesen Definitionen ausgerichtet werden, aber real sind.

Es muss deshalb die Frage gestellt werden, ob die Wissenschaftsvermittlung in den Massenmedien scheitern muss und welche Konsequenzen eine solche Annahme hätte.

Aus Analysen von Selbstaussagen und Positionspapieren von Wissenschaftsjournalisten wird eine Art systembedingter Mechanismus deutlich, der zeigt, dass Journalisten gar nicht anders können, als in der dargestellten Art Wissenschaft zu vereinfachen. Stellt man die Aussagen von Wissenschaftsjournalisten über die Veränderungen des gegenwärtigen Mediensystems in Rechnung, so ist dieses gekennzeichnet durch eine zunehmende ökonomische Abhängigkeit von privatwirtschaftlichen Einnahmen und dem damit verbundenen Druck durch Einschalt- oder Abdruckquoten. Dies hat auch in der Wissenschaftsvermittlung zur Folge, dass das Sensationelle, Abnorme oder Skurrile immer stärker in den Vordergrund rückt auch in seriösen Medien und Nachrichtenagenturen. Dadurch werden die strukturellen Unzulänglichkeiten des Mediensystems in eine Richtung verstärkt, die die diagnostizierten Mechanismen, die die Abweichungen hervorrufen, noch verstärken.

Wenn das gegenwärtige Mediensystem nicht in der Lage ist und auch nicht in der Lage sein wird, wissenschaftliches Wissen an die Öffentlichkeit zu vermitteln wie kann die Öffentlichkeit dann über gesellschaftlich relevante Forschungsrichtungen und ihre Ergebnisse informiert werden?

Meiner Ansicht nach kann dies nur die Wissenschaft selbst in direkter Kommunikation mit der Öffentlichkeit leisten. Dazu muss aber eine Vermittlungsform gefunden werden, die kontinuierlich Texte (oder multimediale Dokumente) auf die Fragen der Öffentlichkeit hin entstehen lässt, wobei die Texte von der Wissenschaft als sprachspielkonform sanktioniert wurden. Diese Vermittlungstexte müssten ständig und in kurzen Abständen aktualisiert und kritisiert werden. Eine weitere Voraussetzung besteht in einer vollkommenen Unabhängigkeit von finanziellen oder kommerziellen Vorgaben und Verwertungsinteressen. Hier bietet sich das OpenSource-Modell (vgl. etwa DiBona, Ockman, Stone 1999) an, das insbesondere mit den Prinzipien der Verwertungsfreiheit, der kollektiven Selbstorganisation und der globalen Vernetzung in fast idealer Weise die Voraussetzungen für eine demokratische Wissenschaftsvermittlung bietet.

Aufbauend auf diesen Prinzipien werden deshalb die Grundzüge des utopischen Projekts ,,Enzyklopädie der Wissenschaften`` skizziert, in dem beschrieben wird, wie eine neue Kommunikationsstruktur zwischen Wissenschaft und Gesellschaft aussehen könnte.

Literatur:

Allan Bell (1993): The Language of News Media. Oxford, Cambridge/Mass.: Blackwell.

Chris DiBona, Sam Ockman, Mark Stone (eds.) (1999): Open Sources. Voices from the Open Source Revolution. Beijing, Cambridge, Köln u.a.: O`Reilly