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Name / Ort: Helmut Dunkhase, Berlin
E-Mail: hDunkhase@t-online.de 
Zur Person:  
Links: http://home.t-online.de/home/hDunkhase/
Workshop : Produktivkraftentwicklung 
Zusammen mit: Wolf Göhring
Norbert Trenkle
Datum/Zeit: 28.4. / 15:00
Abstract: Helmut Dunkhase: Kommunismus = Sowjetmacht + Internet

Ab den 70er Jahren dämmerte Leuten in Ost und West, dass mit der informationelle Revolution etwas heraufzieht, was mehr ist als eine bloße Modernisierung. Sie leitet vielmehr einen Epochenumbruch ein, insofern sie die durch die Herrschaft des Kapitals geprägten Strukturen der Produktivkraftsysteme und Produktionsverhältnisse untergräbt und eine notwendige Voraussetzung für die Ablösung des Marktes zugunsten einer sich in selbstorganisierender Kooperation vollziehenden Gemeinwirtschaft erfüllt. In diesem Zusammenhang werden untersucht:
  • die spezifischen Eigenschaften des Computers, die diesen zum paradigmatischen Werkzeug des Kommunismus machen
  • die Rückkopplung als fundamentales Prinzip sowohl in der Geschichte des Computers selbst als auch in der heutigen und künftigen Wissensanordnung
  • die Bewältigung von Komplexität ohne Tausch(Markt)-Beziehungen
  • inwieweit etwa die Open Source Bewegung als Antizipation des Kommunismus zu begreifen ist.
Wolf Göhring: Die produktive Informationsgesellschaft. Oder: Wie kommt man zu den Brötchen?

"Heute abend mach' ick mir nischt zu essen, heute abend mach' ick mir Jedanken," sagte einmal der Kabarettist Wolfgang Neuss. Der Lacherfolg signalisierte, dass neben der "Software" des reinen und freien Denkens auch noch die "Hardware" des praktischen Lebens, naemlich Brötchen, Schuhe, Zahnpasta, Kühlschraenke, Baukräne, Bohrmaschinen, Gabelstapler, Fensterscheiben oder, ganz modern, foundries zum Backen von Silizium-Chips gefragt sind.

Wie kommt es zu diesen Dingen in Zeiten technischer Vernetzung, Information und Kommunikation? Wieso kriegt man das Zeug nicht "so", sondern wieso muss man den Kram kaufen, wenn man ihn haben will?

Gebrauchsgegenstände wie die genannten werden Waren, weil sie Produkte von einander unabhängig betriebener Arbeiten – MARX nennt sie Privatarbeiten (Das Kapital Bd.1) – sind, die getauscht werden müssen, um gebraucht werden zu können. Der Markt vermittelt diesen Tausch: Gegen das Abstraktum Geld wechseln die konkreten Produkte die Hände. Entscheidend ist das an den Tauschpunkten umgesetzte Geld, wo vor- und nachgelagerte stoffliche, dingliche und persönliche Zusammenhänge zumeist unbekannt sind, denen die Individuen mehr oder weniger hilflos und gleichgültig gegenüber stehen und die viel zu oft nur ein Achselzucken hervorrufen.

Ein Einzelner kann sich dem Tauschen nicht entziehen. Er kann, weil er tauschen muß, im wesentlichen nur noch für andere, d. h. für die Gesellschaft produzieren: die "gesellschaftliche Produktion" ist Fakt. Andererseits sind die Individuen dieser Produktion weitgehend "ausgeliefert": Man kann nur kaufen, was geboten wird; man muß resultierende Umweltprobleme erdulden, auch wenn man sie nicht bestellt hat; man ist den Turbulenzen der Märkte ausgesetzt. Die Individuen sind zwar der gesellschaftlichen Produktion untergeordnet, diese aber nicht den Individuen, um sie "als ihr gemeinsames Vermögen" handhaben zu können (MARX).

"Die zwei Faktoren der Ware: Gebrauchswert und Wert" (MARX) liefern einen Schlüssel zum Verständnis der ökonomischen, ökologischen und sozialen Probleme, die sich in einer warenproduzierenden Gesellschaft ergeben. Im Verfolg dieser Probleme produziert diese Gesellschaft Mittel, mit denen sie dieser Probleme Herr werden möchte. Es werden Produkte, Produktion und Konsum verändert und das Wissen für diese Veränderungen und Zusammenhänge produziert und unter anderem in Informationssystemen manifest. Mit der Informations- und Kommunikationstechnik (IuK-Technik) will man - haarscharf am Tausch der Produkte vorbei - die stofflichen, dinglichen und persönlichen Beziehungen, die den isoliert und unabhängig von einander betriebenen Arbeiten doch zugrunde liegen, sichtbar, verbindbar und gestaltbar machen.

Wenn man die Information im Web als die beste verfügbare Datenbank frei und wirkungsvoll nutzt und ebenso frei ergänzt, kann man alle Aspekte des Lebens bereden und die zum Leben nötige Arbeit organisieren - und machen. Die Arbeit spiegelt sich in Produkten und in Information, und umgekehrt spiegelt sich Information in Arbeit und in Produkten. Man versucht, sich die "gemeinschaftliche gesellschaftliche Produktivität" (MARX) unterzuordnenund erzeugt auf diese Art eine produktive Informationsgesellschaft: "Innerhalb der bürgerlichen, auf dem Tauschwert beruhenden Gesellschaft erzeugen sich sowohl Verkehrs- als auch Produktionsverhältnisse, die ebenso viel Minen sind, um sie zu sprengen. Andrerseits, wenn wir nicht in der Gesellschaft, wie sie ist, die materiellen Produktionsbedingungen und ihnen entsprechenden Verkehrsverhältnisse für eine klassenlose Gesellschaft verhüllt vorfänden, wären alle Sprengversuche Donquichoterie." (Marx-Engels-Werke MEW 42, S. 93)

Aber sobald die Informationsgrundlage "für eine klassenlose Gesellschaft" geschaffen ist und entsprechende Kommunikationsfähigkeiten - technisch wie persönlich - hergestellt sind, lassen sich alle Finanzprogramme dieser Welt löschen, ohne ins Mittelalter abzustürzen.

Weiteres auf meiner Homepage unter dem Stichwort "Kommunikation statt Markt".

Norbert Trenkle: Produktivkraft, kapitalistische Krise und gesellschaftliche Emanzipation

Der Geschichtsoptimismus des Aufklärungsdenkens und insbesondere des traditionellen Marxismus basierte wesentlich auf einer Verherrlichung des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts. Zusammen mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte sollte nicht nur das materielle Elend sondern letztlich auch die Herrschaft des Menschen über den Menschen aus der Welt verschwinden. Der "historische Materialismus" konstruierte gar einen evolutionären Zusammenhang, wonach jedem bestimmten Niveau der Produktivkraftentwicklung eine bestimmte Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung entsprechen sollte. Sozialismus und Kommunismus wurden als die zwangsläufigen Resultate und die Höhepunkte dieses "objektiven historischen Prozesses" betrachtet.

Diese Sicht auf die Geschichte als vorherbestimmtem Prozeß ist scharf zu kritisieren, denn sie reproduziert im Denken unreflektiert die blinde, objektivierte Selbstbewegung der modernen Warengesellschaft. Zwar hat der Kapitalismus sicherlich produktive Potenzen geschaffen worden, die allen Menschen ein gutes Leben ermöglichen könnten, doch drängt er aus seiner inneren Zwangsdynamik heraus keineswegs dazu, diese auch zu realisieren. Im Gegenteil. Erstens schließt er die überwiegende Mehrzahl der Menschen von den Quellen möglichen Reichtums aus und stürzt sie in ungeheures Elend. Zweitens nimmt die von der Verwertungslogik vorangepeitschte Produktivkraft eine geradezu gemeingefährliche und destruktive Gestalt an, die sogar die menschlichen Lebensgrundlagen als solche bedroht. Diese beiden Tendenzen verschärfen sich noch in dem Maße der Kapitalismus in einen fundamentalen, finalen Krisenprozeß gerät, der seinerseits ein Ergebnis der gewaltigen Produktivkraftsteigerung ist. Indem diese nämlich immer mehr Arbeit überflüssig macht, untergräbt sie die Grundlage und Funktionsbasis der Verwertung: die Vernutzung lebendiger Arbeitskraft in der Warenproduktion. Diese Entwicklung führt aber von sich aus keinesfalls zu einer emanzipatorischen Aufhebung des Kapitalismus, sondern nur in eine Abwärtsspirale globaler Destruktion und gewaltsamen gesellschaftlichen Zerfalls.

Aus emanzipatorischer Perspektive kann das Verhältnis zur kapitalistischen Produktivkraft daher nur ein negatorisches sein. Negatorisch meint hier nicht, die technisch-wissenschaftliche Entwicklung pauschal abzulehnen, sondern ihr gegenüber einen Standpunk radikaler Kritik einzunehmen. Nur durch eine solche Kritik können die positiven Potenzen der Produktivkraft sichtbar gemacht und nur gegen die Schwerkraft der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Krise können sie praktisch entwickelt werden. Ein unmittelbar positives Anknüpfen am Gegebenen kann es nicht geben auch wenn nicht alles Gegebene einfach zu verwerfen ist.