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08.05.2001
Gegen Modeformeln
Von freier Software zur Weltbefreiung? In Dortmund tagte der Oekonux-Kongreß

Der Kongreßtitel setzt sich aus den Worten Ökonomie und Linux zusammen. Zielsetzung: diskutieren, inwieweit man die Prinzipien und Strukturen der Erstellung freier Software auf andere gesellschaftliche Bereiche anwenden kann. Vielleicht sogar auf die Gesellschaft als Ganzes? Rund 150 Leute, 30 Referenten und Pressevertreter überboten in der letzten Aprilwoche die Erwartungen der Veranstalter - die Mailingliste Oekonux und das mobile einsatzkommando software (mek), einer Arbeitsgemeinschaft von ver.di Dortmund, die zusammen mit der Rosa-Luxemburg- Stiftung den Kongreß sponserten.

Unter den Teilnehmern waren Informatikstudenten, PDSler, eine Handvoll Gewerkschafter und überraschend viele Beschäftigte verschiedenster Softwarebuden der Dortmunder Umgebung. In meist drei zeitgleichen Veranstaltungen konnte über die Erfahrungen bei der Erstellung freier Software ebenso diskutiert werden, wie über die (Un?)Möglichkeit einer Gesellschaft ohne Geld, über die Arbeit und Anforderungen einer im Schaffensprozeß befindlichen freien Enzyklopädie und über Gewerkschaftspolitik in der »new economy«.

Jetzt, da das Geschäft mit »Inhalt« durchs globale Dorf geistert, waren jene Vorträge und workshops, die sich mit freiem Wissen - auch im Gegensatz zum geistigen Eigentum - befaßten, mobilisierend. Für viele war der kombinierte Vortrag von Kim Veltman (Kulturwissenschafts-Prof aus Maastricht) und dem prokla-Autor Torsten Woellert über »Open Source und Kultur - die freie Enzyklopädie« einer der Höhepunkte des Kongreßes. Hier wurde sowohl von der Computertechnologie her, als auch vom gesellschaftlichen Inhalt des Zugangs zu Wissen und Wissensvermittlung eine Möglichkeit aufgezeigt, tatsächlich gesellschaftliche Entwicklung zu beeinflussen. Gerade die Vorträge, die Netzentwicklung und gesellschaftliche Entwicklung auf konkreten Feldern beackerten, wurden als nützlich empfunden. Mehr jedenfalls als die allgemein-politischen Rundumschläge wie die Debatte über die »Informationsgesellschaft«.

Relativ wenig wurde über die Verbindung von Utopie und Realität diskutiert, das blieb oft bei Grundsatzerklärungen stehen. Wenn aber emanzipatorisches Potential in »Modellen« wie freier Software steckt, dann wäre es wichtig, zu diskutieren, inwieweit hier politische und gesellschaftliche Bündnispartner gesucht und gefunden werden müssen, um dies aus dem kleinen Fachmenschenzirkel hinauszutragen. Das hat auch mek software versucht, indem das Potential der Verbindung gewerkschaftlicher Arbeit mit alternativen Arbeitsmitteln abgefragt wurde. Die mit solchen auch praxisorientierten Ansätzen verbundenen Aktivitäten wie »Linux4Africa« oder »Border=0« setzen bereits Potentiale um.

Die allgemeinen Themen litten unter »parteipolitischen Präferenzen«. Ein bißchen hatte der Kongreß in der vorletzten einen Charakter der Begegnung zweier Welten - und das ist positiv gemeint. Kritisch zu sehen wäre dabei eher, daß, wenn oft parallel »technische« und »politische« Themen behandelt werden, die jeweiligen Gemeinden bei ihren Themen blieben. Gerade für die zahlreich erschienenen Beschäftigten der Softwarebranche im Dortmunder Raum war offensichtlich die Vielfalt der Themen attraktiv, auch wenn sie nicht der Ansicht folgen mochten, daß der »Computer - die Dampfmaschine des Sozialismus« sei, oder eine Debatte über Produktivkraftentwicklung nicht so spannend fanden wie die alternativen Visionen etwa in »Wem gehört das Wissen« - ein Thema, an dem auch anwesende Gewerkschafter zu knapsen hatten: Die Verteidigung des Urheberrechts nicht nur gegen Medienunternehmen, sondern gegen alle und jeden ist gewerkschaftliche Tradition, die eine ihrer zentralen Wurzeln im bürgerlichen Geniekult hat. Heute, da die technologischen Voraussetzungen kollektiver Wissenserarbeitung weit entwickelt sind, muß dies zu notwendigen Debatten führen, wollen die Gewerkschaften nicht - einmal mehr - die falschen Bündnispartner haben, auf der falschen Seite stehen, wenn der aktuelle Kommerz sich der Vermarktung von Wissen widmet.

Natürlich kann ein solcher Kongreß nicht alle Fragen behandeln, durch die sich die Achse Software - wie einst die Achse Elektromotor durch die tayloristisch organisierte Gesellschaft - zieht. Geschlechter und Gewaltverhältnisse kamen ebenso zu kurz, wie die ökologische Dimension der Fragenkomplexe. Für die anwesenden Gewerkschafter aus der Region lieferte der Kongreß jede Menge Material für die Praxis - etwa in der Auseinandersetzung um das ambitionierte »Dortmund-Projekt« - die mainstream-Zukunftsvision für eine ehemalige Stahlstadt, in der schon heute rund 18 000 Menschen in IT, Multimedia und Kommunikationsbetrieben arbeiten.

Helmut Weiss

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